Steht der Quran fuer sich selbst?

Hier werden bestimmte Verse im Qur'an diskutiert. Neben konventionellem Tafsir sind eigene Gedanken dazu sehr erwünscht. (für Gäste lesbar)
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iman07
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Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von iman07 »

Selam,

eigentlich ist es mehr ein "Gedankenspaziergang ueber den Quran", aber ich hab mir gedacht es passt doch irgendwie hierher.

Ich finds etwas schwierig das Thema richtig auszudruecken, aber ich wills mal versuchen...
Vorab - es geht mir hier nicht um eine "Sind Hadithe nuetzlich oder soll man sie einfach ignorieren und nur dem Quran folgen" Diskussion. Es geht mir um die Frage ob das Wort Gottes in Form des Qurans ausreichend fuer einen x-beliebigen Menschen ist, den Islam zu verstehen.

Ich kam in letzter Zeit mehrfach in Diskussionen mit Menschen die mir "mangelndes Wissen" ueber den Islam vorgeworfen haben. Dieses Argument wurde dafuer verwendet zu beweisen dass ich den Islam "falsch" oder "nicht ausreichend" verstehen wuerde. Und meine liberal/moderate Auffassung des Islam aus diesen Unkenntnis entstanden sei (bzw der Tatsache dass ich in einer nicht-muslimischen Umgebung sozialisiert wurde...das waere wieder ein Thema fuer sich). In anderen Worten - da ich im Western aufgewachsen bin koennte ich den Kontext des Qurans nicht richtig verstehen (oder zumindest schlechter als jemand der in einem islamischen Land leben wuerde).
Uebrigens - diese Vorwuerfe kamen nicht von Muslimen, sondern von Nicht-muslimen.

Also sagen wir mal ganz hypothetisch wir haben einen Menschen X, der ploetzlich ueber einen Quran stolpert (ohne Tafsir, ohne Gelehrten drumherum, ohne Hadith etc). Kann dieser Mensch X durch alleiniges Lesen des Qurans den Islam (richtig) verstehen? Oder ist das schier unmoeglich?

Ich denke die Antwort ist ja, wollte aber eure Meinung wissen. Der Quran ist doch ein Zeichen fuer die Menschheit. Das heisst doch dass ich keine Wissenschaft drumherum brauche um den Islam zu verstehen, oder? Wieso haette Allah ein fuer die Menschheit unverstaendliches Werk hinabgesandt, das die Interpretation und Wissenschaft von hunderten Gelehrte noetig hat?

Und den Gedanken weitergefuehrt - wenn das so ist, fuehrt es doch zwangslaeufig darauf hinaus dass der Quran nicht wort-woertlich genommen werden kann, da die verschiedensten Menschen in den verschiedensten Kulturen komplett verschiedene Leseansaetze haetten (wuerd ich mal sagen).
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rotermangold
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von rotermangold »

As-salamu alaikum

ich habe nach jahrelanger Suche nach der richtigen Religion für mich und dem Lesen vieler religiöser Schriften den Quran in deutscher Übertragung gelesen, Angefangen, durchgelesen, zugeschlagen und gesagt : es gibt keinen Gott außer Allah
Da wußte ich nichts von Schia und Sunna, Rechtsschulen, Sheiks, Fatwas, Sufis, Aleveten usw.

meine Vorherigen "Kontakte" zu geborenen Muslimen hatten bei mir eher einen abstoßenden Effekt

und dennoch hat mir das Buch aleine den richtigen Weg gewiesen

Allhamdullilah

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Anne81
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Anne81 »

Ich schließe mich da 100% Rotermangold an - war bei mir genauso (nur dass ich vorher nicht gesucht hab, sondern überzeugte Atheistin war). :lol:
Arife
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Arife »

iman07 hat geschrieben: Ich kam in letzter Zeit mehrfach in Diskussionen mit Menschen die mir "mangelndes Wissen" ueber den Islam vorgeworfen haben. Dieses Argument wurde dafuer verwendet zu beweisen dass ich den Islam "falsch" oder "nicht ausreichend" verstehen wuerde. Und meine liberal/moderate Auffassung des Islam aus diesen Unkenntnis entstanden sei (bzw der Tatsache dass ich in einer nicht-muslimischen Umgebung sozialisiert wurde...
Salam

Ich stelle mir manchmal selber die Frage ob ich irgendwie falsch liege weil ich manche Dinge noch nicht überblicke. Mein Weg ist auch eher nicht so mainstream und manchmal Zweifel ich leider doch, ob ich das einfach alles so machen und sehen kann wie ich "will".

iman07 hat geschrieben: Also sagen wir mal ganz hypothetisch wir haben einen Menschen X, der ploetzlich ueber einen Quran stolpert (ohne Tafsir, ohne Gelehrten drumherum, ohne Hadith etc). Kann dieser Mensch X durch alleiniges Lesen des Qurans den Islam (richtig) verstehen? Oder ist das schier unmoeglich?
Nein unmöglich ist das sicher nicht. Wozu heißt es denn das der Koran vollständig ist!?
Ich bin der Meinung dass es jedem Menschen möglich ist "den Islam" zu verstehen, dazu braucht es weder Studium (wo kämen wir denn da hin!) noch einen Mittelsmann. Für mich ist das sogar eine klare Aussage des Korans.

Zwangsläufig ergeben sich dann aber verschiedene Praktiken. Ich denke dass das Absicht (Barmherzigkeit) ist. Von den Menschen (vorallem von gewissen Menschen) ist das aber nicht gewollt.
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killyfisch
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von killyfisch »

iman07 hat geschrieben:Ich kam in letzter Zeit mehrfach in Diskussionen mit Menschen die mir "mangelndes Wissen" ueber den Islam vorgeworfen haben. Dieses Argument wurde dafuer verwendet zu beweisen dass ich den Islam "falsch" oder "nicht ausreichend" verstehen wuerde. Und meine liberal/moderate Auffassung des Islam aus diesen Unkenntnis entstanden sei (bzw der Tatsache dass ich in einer nicht-muslimischen Umgebung sozialisiert wurde...das waere wieder ein Thema fuer sich). In anderen Worten - da ich im Western aufgewachsen bin koennte ich den Kontext des Qurans nicht richtig verstehen (oder zumindest schlechter als jemand der in einem islamischen Land leben wuerde).
Uebrigens - diese Vorwuerfe kamen nicht von Muslimen, sondern von Nicht-muslimen.
Das Interessante an diesen Vorwürfen, die ich auch kenne, ist doch aber, dass meist gerade diese Menschen von sich behaupten, sie selbst würden den Islam verstehen und ich würde mir meinen eigenen Islam basteln. Der "wahre" Islam sei rückständig, frauenfeindlich und blutrünstig. Oft sehen doch gerade diese Nichtmuslime den Salafi-Islam als wahren Islam. Was das Verständnis des Kontexts betrifft - das hat nichts mit dem Wohnort zu tun.
Also sagen wir mal ganz hypothetisch wir haben einen Menschen X, der ploetzlich ueber einen Quran stolpert (ohne Tafsir, ohne Gelehrten drumherum, ohne Hadith etc). Kann dieser Mensch X durch alleiniges Lesen des Qurans den Islam (richtig) verstehen? Oder ist das schier unmoeglich?
Meiner Meinung nach vermengst du hier die Begriffe. Ich bin der Ansicht, der Koran reicht nicht, um den Islam zu verstehen; dazu braucht man doch auch tiefergehende Kenntnisse im islamischen Recht, der Philosophie und der Geschichte. Aber ja, es ist möglich, den Koran aus sich heraus zu verstehen. Die Frage ist nur, wie man ihn versteht :) Der Koran selbst spricht von eindeutigen und mehrdeutigen Versen, von daher gibt es zum einen den Wortsinn und zum anderen den übertragenen Sinn. Die wortwörtliche Auslegung, wie sie die Salafis propagieren, finde ich arm. Der tiefere Sinn erschließt sich m.E. erst in der Diskussion mit anderen, die aber nicht unbedingt Gelehrte sein müssen.
Ich denke die Antwort ist ja, wollte aber eure Meinung wissen. Der Quran ist doch ein Zeichen fuer die Menschheit. Das heisst doch dass ich keine Wissenschaft drumherum brauche um den Islam zu verstehen, oder? Wieso haette Allah ein fuer die Menschheit unverstaendliches Werk hinabgesandt, das die Interpretation und Wissenschaft von hunderten Gelehrte noetig hat?
Das sehe ich im Prinzip genau so. Allerdings gibt es Leute, die ein tieferes Verständnis erreichen können, und dann ist es sicher nicht verkehrt, diese zu Rate zu ziehen. Außerdem geben einem Auslegungen immer auch Anregungen für das eigene Verständnis. Bei der innerislamischen Diskussion um die Bedeutung der "Gelehrten" geht es doch aber eigentlich um die Deutungshoheit und die Erhaltung von Pfründen. Im Prinzip würde selbst der konservativste Muslim behaupten, dass es keinen Klerus im Islam gibt, was aber in der Praxis doch wieder aufgehoben ist.
Und den Gedanken weitergefuehrt - wenn das so ist, fuehrt es doch zwangslaeufig darauf hinaus dass der Quran nicht wort-woertlich genommen werden kann, da die verschiedensten Menschen in den verschiedensten Kulturen komplett verschiedene Leseansaetze haetten (wuerd ich mal sagen).
Eigentlich ist das doch auch einer der Grundsätze im islamischen Recht, dass immer auch das Gewohnheitsrecht in den Gegenden, in denen sich der Islam verbreitet hat, mit berücksichtigt wurde. Zu den kulturell bedingten unterschiedlichen Herangehensweisen kommt aber auch noch, dass sich die individuellen Leseansätze und die Methoden der Auslegung mit der Zeit und den Umständen ändern. Und ich meine, von neuen wissenschaftlichen Methoden (historisch-kritische Methode, Hermeneutik,... ) kann die Koranauslegung nur profitieren. Die wort-wörtliche Auslegung ist nur ein Teil der Koranauslegung, ist an sich aber für ein Verständnis des Korans nicht ausreichend. Das liegt aber m.E. nicht an den Leseansätzen, sondern am Korantext selbst.
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iman07
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von iman07 »

Selam,
Das Interessante an diesen Vorwürfen, die ich auch kenne, ist doch aber, dass meist gerade diese Menschen von sich behaupten, sie selbst würden den Islam verstehen und ich würde mir meinen eigenen Islam basteln. Der "wahre" Islam sei rückständig, frauenfeindlich und blutrünstig. Oft sehen doch gerade diese Nichtmuslime den Salafi-Islam als wahren Islam. Was das Verständnis des Kontexts betrifft - das hat nichts mit dem Wohnort zu tun.
Richtig. Am schlimmsten finde ich es mit zum Christentum konvertieren Muslimen darueber zu argumentieren. Denn das ist ihr "Totschlag Argument". Da sie ja selbst ein Leben lang Muslim waren und dann irgendwann konvertiert sind, finde ich es extrem schwierig gegen solche Leute anzukommen. Denn natuerlich sagen sie immer "ich hab den wahren Islam erlebt" (im "echten" muslimischen Umfeld", als Muslim aufgewachsen usw), und was kann ich dagegenhalten - konvertiert seit ein paar Jahren, ohne muslimsche Familie (bzw nicht die eigene)....
Wie kommt man gegen sowas an? :confused:
Meiner Meinung nach vermengst du hier die Begriffe. Ich bin der Ansicht, der Koran reicht nicht, um den Islam zu verstehen; dazu braucht man doch auch tiefergehende Kenntnisse im islamischen Recht, der Philosophie und der Geschichte. Aber ja, es ist möglich, den Koran aus sich heraus zu verstehen. Die Frage ist nur, wie man ihn versteht :) Der Koran selbst spricht von eindeutigen und mehrdeutigen Versen, von daher gibt es zum einen den Wortsinn und zum anderen den übertragenen Sinn. Die wortwörtliche Auslegung, wie sie die Salafis propagieren, finde ich arm. Der tiefere Sinn erschließt sich m.E. erst in der Diskussion mit anderen, die aber nicht unbedingt Gelehrte sein müssen.
Hm, das heisst du unterscheidest die Begriffe "Koran" und "Islam" richtig? Das ist zwar irgendwie logisch, irgendwie aber auch wieder nicht. Man kann doch Muslim(a) sein ohne Kenntnisse in der islamischen Theologie zu haben oder? Wuerde das dann heissen man ist zwar Muslima, versteht aber nicht woran man glaubt? Oder muss man zwischen Islam als "Religionskonstrukt" (kenn mich ja nicht so aus mit den Fachbegriffen) und Islam als "persoenlicher spiritueller Weg" unterscheiden? Hoffe du verstehst was ich meine.
. Im Prinzip würde selbst der konservativste Muslim behaupten, dass es keinen Klerus im Islam gibt, was aber in der Praxis doch wieder aufgehoben ist.
Eben, und das verwirrt mich.
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marion
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von marion »

Hallo und Salam

Den Islam, wie er sich zeigt, kann man sicher nicht durch den Quran alleine verstehen.
Den Islam welcher im Quran als Weg zu Gott gelehrt wird aber durchaus.

Ich kannte ja erst nur den Quran und wusste gar nix über die Sunnah und hatte auch keinen Tau was die Muslime eigentlich so denken, glauben,..... Jedenfalls verstand ich das Verhalten der Muslime in meinem Umfeld, je mehr ích im Buch las, immer weniger. Ich habe schon den Eindruck, dass der Quran als einzige Lehrquelle den Islam "purifizieren" würde.

@iman07
Ich möchte deine Frage mit JA! beantworten.

LG
PEACE
Marion
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Die Auslegung der Schrift ist nicht in erster Linie abhängig von der Theologie, sondern vom Charakter. (Hans Peter Royer)
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Arife »

iman07 hat geschrieben: Hm, das heisst du unterscheidest die Begriffe "Koran" und "Islam" richtig? Das ist zwar irgendwie logisch, irgendwie aber auch wieder nicht. Man kann doch Muslim(a) sein ohne Kenntnisse in der islamischen Theologie zu haben oder? Wuerde das dann heissen man ist zwar Muslima, versteht aber nicht woran man glaubt? Oder muss man zwischen Islam als "Religionskonstrukt" (kenn mich ja nicht so aus mit den Fachbegriffen) und Islam als "persoenlicher spiritueller Weg" unterscheiden? Hoffe du verstehst was ich meine.
Eine echt interessante Frage. Aber was ist dann "Religionskonstrukt"? Das sollte dür den Einzelnen ja dennoch der persönliche spirituelle Weg sein. :confused:
iman07 hat geschrieben:
Im Prinzip würde selbst der konservativste Muslim behaupten, dass es keinen Klerus im Islam gibt, was aber in der Praxis doch wieder aufgehoben ist.
Eben, und das verwirrt mich.
Mich verwirrt es nicht, es ärgert mich.
Ich habe doch richtig verstanden dass es keinen "Vermittler" geben soll und die Muslime aber dennoch die Gelehrten als solche darstellen, oder?
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Beate
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Beate »

killyfisch hat geschrieben:Das Interessante an diesen Vorwürfen, die ich auch kenne, ist doch aber, dass meist gerade diese Menschen von sich behaupten, sie selbst würden den Islam verstehen und ich würde mir meinen eigenen Islam basteln.
und noch interessanter ist, dass bei näherem Nachfragen viele dieser sogenannten Islamexperten recht wenig über den Koran wissen.
Sie orientieren sich lieber an Fatwas.
Sure 18
[103] Sprich: "Sollen Wir euch die nennen, die bezüglich ihrer Werke die größten Verlierer sind?
[104] "Das sind die, deren Eifer im irdischen Leben in die Irre ging, während sie meinen, sie täten gar etwas Gutes."
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Maymuna »

iman07 hat geschrieben:Denn natuerlich sagen sie immer "ich hab den wahren Islam erlebt" (im "echten" muslimischen Umfeld", als Muslim aufgewachsen usw), und was kann ich dagegenhalten - konvertiert seit ein paar Jahren, ohne muslimsche Familie (bzw nicht die eigene)....
Wie kommt man gegen sowas an? :confused:
Das finde ich echt unmöglich! Die unterstützen ja dadurch auch die Salafis, weil sie die Meinung vertreten, dass das der "richtige" Islam sei. Da ist natürlich auch wieder dieser Fokus auf die arabische Kultur. Dass der Islam z.B. in Westafrika oder Südosteuropa ganz anders gelebt wird und die Leute sich dort trotzdem selbstverständlich als Muslime betrachten (aber eben nicht als Araber), wir dann gerne mal vergessen. Und solche Regionen werden dann auch als "nicht richtig islamisch" betrachtet. Könnte ich ja verstehen, wenn man selbt total auf dem Salafi-Trip ist, aber gerade wenn man selbst schlechte Erfahrungen mit zu konservativen Muslimen gemacht hat, sollte man doch froh sein, dass es Menschen anderswo geschafft haben sich von solch extremen Auslegungen weitgehend freizumachen und dennoch die Liebe zum inneren Aspekt des Islam beibehalten haben.
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killyfisch
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von killyfisch »

@iamn07: Das, was heute als Islam bezeichnet wird, sind ja ganz verschiedene Strömungen und Ausrichtungen; da ist ja eigentlich gar kein einheitliches Bild erkennbar. Von daher würde ich da auch nicht von "Religionskonstrukt" sprechen, sondern diese Richtungen eher als theologische Schulen bezeichnen.

Ich bin auch der Ansicht, dass für die persönliche spirituelle Entwicklung der Koran an sich ausreichend ist. Ein wirkliches "Islamverständnis" beinhaltet für mich aber mehr. Und zu einem tiefer gehenden Verständnis des Koran ist sicher auch mehr Hintergrundwissen erforderlich. Das ist aber auch eine Frage der persönlichen Interessen. Ich finde es z.B. unmöglich, wenn von Nichtarabern verlangt wird, Arabisch zu lernen, da sie nur über das Arabische den Koran richtig verstehen könnten.

In Diskussionen versuche ich, eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der man diskutieren bzw. zumindest seinen Standpunkt verdeutlichen kann. Nehmen wir mal das Christentum: da würde niemand erwarten, dass ein Christ neben der Bibel auch noch die Schriften der Kirchenväter oder die Texte von Luther kennt. (Gerade wenn man die judenfeindlichen Äußerungen Luthers kennt, könnte man sicher, wenn man auf niedrigem Niveau diskutieren möchte, die Frage stellen, wie ein Deutscher nach allem noch mit gutem Gewissen Protestant sein kann.) Als Muslim muss man sich jedoch ständig für sämtliche Ereignisse der letzten 1400 Jahre rechtfertigen. Mein Ziel ist es, meinem Gegenüber klarzumachen, dass es mit seinem Standpunkt eigentlich nur den salafitischen Islam unterstützt und allen anderen Bewegungen ihr Existenzrecht abspricht, einfach mit der Begründung "der Islam ist aber so", gleichzeitig aber eine Reform/ Aufklärung/ was auch immer fordert und dabei entsprechende Strömungen ignoriert.
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Anisah »

Im Qu'ran steht für mich alles drin, ich bin fasziniert, wie viele Antworten ich finde, einfach nur indem ich lese. Der eine oder andere Tafsir als Hintergrundinfo macht es mir leichter, aber verbindlich ist für mich nur der Qu'ran selbst.

Und noch etwas: die christlichen Kirchen in Deutschland sind deswegen volksnah geworden, weil ein gewisser Martin Luther der Meinung war, dass die Bibel auf Deutsch übersetzt und gelesen werden muss, damit jeder sie lesen kann. Die Situation ist da im Prinzip ähnlich wie beim Qu'ran: es gibt eine ganze Reihe an Übersetzungen, die sich inhaltlich durchaus in Détails unterscheiden. Wer einen Überblick will, liest eben mehrere. So halte ich es auch mit dem Qu'ran: das arabische Original werde ich erst irgendwann, vielleicht nie, lesen können. So lange studiere ich verschiedene Übersetzungen und Tafsire und mache mir meinen Reim darauf. Ein "deutscher" Islam wäre aber ein Quantensprung (und ein kleiner Traum für mich), mit Gebeten in meiner Muttersprache (nein, ich meine nicht schwäbisch :mrgreen: ). Naja, man wird ja mal träumen dürfen :engel_lieb:
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von iman07 »

Anisah hat geschrieben:
Und noch etwas: die christlichen Kirchen in Deutschland sind deswegen volksnah geworden, weil ein gewisser Martin Luther der Meinung war, dass die Bibel auf Deutsch übersetzt und gelesen werden muss, damit jeder sie lesen kann. Die Situation ist da im Prinzip ähnlich wie beim Qu'ran: es gibt eine ganze Reihe an Übersetzungen, die sich inhaltlich durchaus in Détails unterscheiden. Wer einen Überblick will, liest eben mehrere. So halte ich es auch mit dem Qu'ran: das arabische Original werde ich erst irgendwann, vielleicht nie, lesen können. So lange studiere ich verschiedene Übersetzungen und Tafsire und mache mir meinen Reim darauf. Ein "deutscher" Islam wäre aber ein Quantensprung (und ein kleiner Traum für mich), mit Gebeten in meiner Muttersprache (nein, ich meine nicht schwäbisch :mrgreen: ). Naja, man wird ja mal träumen dürfen :engel_lieb:
Stimmt. Ein echt guter Gedankenansatz,danke :clapp: Die Bibel in deutsch ist heutzutage so selbstverstaendlich dass es mir gar nicht mehr in den Sinn kommt dass sie nicht auf deutsch geschrieben wurde. Wenn man der Argumentation dieser Leute folgen wuerde, hiesse es ja dann auch dass das Christentum ebenso von Deutschen nicht "richtig" verstanden werden kann, da die Wurzeln desselben ja genauso nicht in Europa zu finden sind.
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von iman07 »

killyfisch hat geschrieben:@iamn07: Das, was heute als Islam bezeichnet wird, sind ja ganz verschiedene Strömungen und Ausrichtungen; da ist ja eigentlich gar kein einheitliches Bild erkennbar. Von daher würde ich da auch nicht von "Religionskonstrukt" sprechen, sondern diese Richtungen eher als theologische Schulen bezeichnen.

Ich bin auch der Ansicht, dass für die persönliche spirituelle Entwicklung der Koran an sich ausreichend ist. Ein wirkliches "Islamverständnis" beinhaltet für mich aber mehr. Und zu einem tiefer gehenden Verständnis des Koran ist sicher auch mehr Hintergrundwissen erforderlich. Das ist aber auch eine Frage der persönlichen Interessen. Ich finde es z.B. unmöglich, wenn von Nichtarabern verlangt wird, Arabisch zu lernen, da sie nur über das Arabische den Koran richtig verstehen könnten.

In Diskussionen versuche ich, eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der man diskutieren bzw. zumindest seinen Standpunkt verdeutlichen kann. Nehmen wir mal das Christentum: da würde niemand erwarten, dass ein Christ neben der Bibel auch noch die Schriften der Kirchenväter oder die Texte von Luther kennt. (Gerade wenn man die judenfeindlichen Äußerungen Luthers kennt, könnte man sicher, wenn man auf niedrigem Niveau diskutieren möchte, die Frage stellen, wie ein Deutscher nach allem noch mit gutem Gewissen Protestant sein kann.) Als Muslim muss man sich jedoch ständig für sämtliche Ereignisse der letzten 1400 Jahre rechtfertigen. Mein Ziel ist es, meinem Gegenüber klarzumachen, dass es mit seinem Standpunkt eigentlich nur den salafitischen Islam unterstützt und allen anderen Bewegungen ihr Existenzrecht abspricht, einfach mit der Begründung "der Islam ist aber so", gleichzeitig aber eine Reform/ Aufklärung/ was auch immer fordert und dabei entsprechende Strömungen ignoriert.
:top:

Das ist das was ich eben auch nicht verstehe - die Forderung nach einer Reform, und dann wird man als "reformierte Muslima" aber gleichzeitig sofort niedergedeckelt. :roll:

Und wenn es um die Rechtfertigung geht, heisst es immer man muesse auf die heutige Situation schauen. Denn was Christen/Angehoerige anderer Religionen im Laufe der Geschichte verbrochen haben, sei ja heute nicht mehr relevant.

Ich frag mich ja auch immer wieder, was solche Leute eigentlich bezwecken wollen. Den Islam als solches ausloeschen? Es muss ihnen doch klar sein dass das unmoeglich ist.
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Re: Steht der Quran fuer sich selbst?

Beitrag von Silvia »

iman07 hat geschrieben:
Richtig. Am schlimmsten finde ich es mit zum Christentum konvertieren Muslimen darueber zu argumentieren. Denn das ist ihr "Totschlag Argument". Da sie ja selbst ein Leben lang Muslim waren und dann irgendwann konvertiert sind, finde ich es extrem schwierig gegen solche Leute anzukommen. Denn natuerlich sagen sie immer "ich hab den wahren Islam erlebt" (im "echten" muslimischen Umfeld", als Muslim aufgewachsen usw), und was kann ich dagegenhalten - konvertiert seit ein paar Jahren, ohne muslimsche Familie (bzw nicht die eigene)....
Wie kommt man gegen sowas an? :confused:
Hallo, Iman,
ich schreibe mal was zu Konvertiten im Allgemeinen, jetzt außer Beate:
Normalerweise kommt jemand ja nur auf die Idee, zu konvertieren, wenn er mit seiner "Geburts-" Religion unzufrieden ist. Und einer von mehreren Gründen dafür ist oft, daß er schlechte Erfahrungen mit den übrigen Religionsanhängern gemacht hat. Wie zum Beispiel Anisah.
Und diese schlechten Erfahrungen sind real. Die kannst Du demjenigen nicht absprechen. Die mußt Du anerkennen und ernstnehmen und bestätigen.
Und erst, nachdem Du das lange und ausgiebig getan hast, kannst Du sie etwas relativieren:
"Hörmal, Anisah, es tut mir Leid, daß Euer schwäbischer Pfarrer Deine Regenbogenfamilie schräg anschaut, aber glaub mir, nicht alle Protestanten sind kleinkarierte reformiert-pietistische Schwaben, ehrlich!"

Hallo, Beate, hallo, Anisah,
ich will Euch nicht irgendwie kränken, und nehme Eure Namen auch raus, wenn ihr meint.
viele Grüße, Silvia
Antworten