Ich habe mir gerade, angeregt durch einige Beiträge im Forum (Eltern, die die Konvertierung ihrer Kinder nicht akzeptieren, muslimische Männer, die der Meinung sind für die religiöse Erziehung ihrer konvertierten Ehefrauen zuständig zu sein, was genau ist Sünde) überlegt, inwieweit Gottesbild und Erziehungsmethoden oder der Umgang mit Kindern allgemein sich gegenseitig beeinflussen.
Eltern wollen im Normalfall natürlich immer das Beste für ihre Kinder und erziehen sie dementsprechend. Stellen z.B. Verbote nicht aus Spaß auf sondern um ihre Kinder vor Dingen zu schützen, die sie für gefährlich halten. Das tut Gott ja mithilfe von Religionen auch. Nun sagt der Qur'an ganz klar, dass Gott uns Menschen so erschaffen hat, dass es für unseren Verstand möglich ist, gut und schlecht voneinander zu unterscheiden. Wir brauchen niemanden, der uns sagt, dass Mord etwas schlechtes ist, das erkennen wir von ganz alleine. Schwierig wird es bei Dingen, von denen wir vielleicht verdrängen, dass sie nicht gut für uns sind. Da ist dann die Frage wie man das interpretieren möchte. Ist das tatsächlich eine Sünde? Viele Eltern müssen mit ihrern Kindern auch Dinge wie beispielsweise Drogenkonsum durchmachen. Oftmals fachen ja aber Verbote die Neugier noch viel mehr an. Gerade in der Pubertät sind doch Dinge besonders spannend, von denen man weiß, dass die Eltern etwas dagegen haben, einfach weil man seine Grenzen austesten möchte. Hingegen gibt es Eltern, die in dieser Hinsicht lockerer sind, wodurch für manche Kinder der Reiz an der Sache verloren geht. Aber wenn es dann vielleicht dazu kommt, dass Jugendliche z.B. regelmäßig kiffen, gibt es doch dann ausgehend von der Erziehungsmethode zwei Sichtweisen: Entweder man reagiert mit Hausarrest, schaltet die Lehrer ein, verbietet den Umgang mit den Freunden. Oder man sagt sich: "Ich finde das nicht gut, aber solange ich noch den Blick drauf habe, muss ich meinem Kind seine Erfahrungen zugestehen." Oftmals wollen Eltern ihre Kinder vor Erfahrungen bewahren, die die Kinder vielleicht machen müssen, um als Mensch zu reifen. Aber beispielsweise unter elterlichem Druck eine Ausbildung anzufangen kann zu einem späteren Abbruch führen, während etwas mehr Zeit und weniger Druck dazu führen können, dass der Jugendliche seinen Weg findet.
Wenn schon Eltern, die ja auch nur Menschen sind, dazu in der Lage sind, ihren Kindern ihre Freiräume in der Entwicklung zu lassen, müsste man doch darauf kommen, dass Gott, Der uns viel besser kennt als wir uns selbst, uns auch nicht alles als Sünde ankreidet sondern weiß, dass manche Menschen vielleicht diese spezielle Erfahrung brauchen. Und wie gesagt, eigentlich wurden wir so erschaffen, dass wir wissen, was gut oder schlecht ist. Manche Menschen müssen aber auch ihre eigenen Grenzen etwas austesten, um in ihrer Entwicklung weiter zu kommen. Wird Gott dann z.B. nach einem Glas Alkohol gleich mit der Hölle drohen oder nicht eher nachsichtig sein, weil Er weiß, dass Er zwar warnen kann, dass aber manche Dinge einfach besser durch eigene Erfahrung ankommen?
Gerade in konservativ-religiösen Kulturen läuft die Erziehung ja eher nach dem Motto bloß alles verbieten, was auch nur irgendwie auf den falschen Weg führen könnte. Aber so wird ja nicht nur mit Kindern sondern mit allen Mitgliedern der Gesellschaft verfahren. Der Raum für eigene Entwicklung, eigene Erfahrungen, Fehler, aus denen man lernt, wird eben nicht gegeben sondern es wird gleich mit der Hölle gedroht. Da existiert dann eben auch so ein Gottesbild: "Wenn du kein Kopftuch trägst, kommst du nicht ins Paradies." Da wird von Gott die gleiche Reaktion erwartet wie von den Eltern: "Wenn du diesen Mann heiratest, bist du nicht mehr unsere Tochter."
Nun denke ich, dass sich das irgendwie gegenseitig beeinflusst. Dass also dieses Gottesbild dazu führt, dass alles besonders streng gehandhabt wird und deshalb auch die Erziehung der Kinder so abläuft. Dass aber andererseits, wenn die eigenen Eltern bereit sind, die Gefühle ihrer Kinder komplett zu ignorieren, sie auch gar nicht auf die Idee kommen, dass Allah unsere Gefühle eben nicht ignoriert sondern sie sogar ernstnimmt.
Jedenfalls habe ich bei meinen Eltern immer gewusst, dass ich meine Erfahrungen im Leben machen durfte und deshalb viele Dinge auch komplett ihren Reiz verloren haben. Ich weiß, dass meine Eltern manche Dinge nicht in Ordnung finden, dass sie aber immer hinter mir stehen werden. Ich weiß z.B., dass sie nie zu mir den Kontakt abbrechen würden, egal wen ich mal heiraten sollte (aber weil ich das weiß, bin ich eben auch bereit, ihnen da entgegenzukommen, und eben nicht genau nach jemandem zu suchen, den sie nicht mögen würden.. Der Kontakt zu mir würde zwar nicht abbrechen, aber den Mann könnten sie ja durchaus ignorieren und so ideal fände ich das dann doch nicht. ). Deswegen kann ich mir aber auch gar nicht vorstellen, dass Allah das nicht genauso macht. Mir meine Entscheidungen lässt, auch Dinge akzeptiert, die eigentlich nicht so super sind, aber mich weiterhin liebt und weiß, dass das alles irgendwie auch zu mir gehört und meinen Charakter mit ausmacht.
Ich finde es daher so schade, dass es soviele Menschen gibt, die das Gefühl nicht haben und auch von ihren Eltern nie das Gefühl von bedingungslosem Rückhalt vermittelt bekommen haben.
Erziehungsmethoden und Gottesbild
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Du sprichst mir aus der Seele, das hast Du soooo schön gesagt, danke
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Ist das Auge rein, so sieht es nichts als Reinheit.
Abu'l Madschd Madschdud Sana'i,
Abu'l Madschd Madschdud Sana'i,
- Yalisa
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Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Wenn Allah erwarten würde, dass wir immer alles richtig machen, hätte er uns die Möglichkeit der Umkehr und Vergebung nicht geschenkt. Manchmal lernt man aus selbstgemachten Fehlern sogar am meisten.
Oh Gott, ich habe nichts für das Paradies getan und ich habe nicht die Kraft, die Hölle zu ertragen; nun liegt die Sache bei Deiner Gnade. Yabria ibn Mu`adb ( Persischer Mystiker)
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Vielen Dank, liebe maymuna. Das hast Du sehr schön geschrieben und sprichst wirklich etwas Wahres an/ aus.
Leider haben nicht alle Konvertierten oder auch geborenen Muslime ein solches Glück mit ihren Eltern oder Männern, oder Frauen. Diejenigen, die es haben, sollten unbedingt daran festhalten, und ihr Glück auch ein wenig auf andere weniger Glückliche abfärben lassen, wenn das irgendwie möglich ist.
Allgemein, Religion hin oder her, ist es in der Familie wie auch in einer Partnerschaft/ Ehe ein Geben und ein Nehmen. Um miteinander klar zu kommen, aber auch gegenseitig Freiheiten einzuräumen, muss man auch Kompromisse eingehen können. Nicht immer fällt das auf einer Seite leicht, aber es vereinfacht den Umgang miteinander.
Ich freue mich sehr über Deinen Text, denn er gibt mir zu Denken. Danke.
Leider haben nicht alle Konvertierten oder auch geborenen Muslime ein solches Glück mit ihren Eltern oder Männern, oder Frauen. Diejenigen, die es haben, sollten unbedingt daran festhalten, und ihr Glück auch ein wenig auf andere weniger Glückliche abfärben lassen, wenn das irgendwie möglich ist.
Allgemein, Religion hin oder her, ist es in der Familie wie auch in einer Partnerschaft/ Ehe ein Geben und ein Nehmen. Um miteinander klar zu kommen, aber auch gegenseitig Freiheiten einzuräumen, muss man auch Kompromisse eingehen können. Nicht immer fällt das auf einer Seite leicht, aber es vereinfacht den Umgang miteinander.
Ich freue mich sehr über Deinen Text, denn er gibt mir zu Denken. Danke.
Auch wenn ich versuchen wollte, Liebe zu beschreiben, wenn ich sie erfahre, bin ich sprachlos. - Rumi
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Maymuna,
vielen Dank und
Ich habe z. B. in Ägypten mehr als einmal überlegt: das "autoritäre" Gottesbild reflektiert eine verbreitete Familienstruktur - mit einem autoritäten, das Recht zur Einforderung von automatischem Gehorsam und zur Strafe habenden Vater/Familienoberhaupt an der Spitze? Und dann die gleiche Struktur nochmal - im ganz großen Wurf gesehen?
Und - auch im "traditionellen" Kontext - gibt es ja andere Varianten, wie eine Familie "funktioniert". In Bezug auf Religion bedeutet das dann vielleicht immer noch ein tiefreligiöses Leben/einen tiefen Glauben, der aber nicht in diesem Korsett von Forderung und Verbot und Sanktion erstarrt ist, auch: "liebevoller" gelebt wird - mit anderen, aber auch sich selbst gegenüber.
vielen Dank und
Hier ist für mich ein Schlüsselgedanke.Maymuna hat geschrieben:
Gerade in konservativ-religiösen Kulturen läuft die Erziehung ja eher nach dem Motto bloß alles verbieten, was auch nur irgendwie auf den falschen Weg führen könnte. Aber so wird ja nicht nur mit Kindern sondern mit allen Mitgliedern der Gesellschaft verfahren. Der Raum für eigene Entwicklung, eigene Erfahrungen, Fehler, aus denen man lernt, wird eben nicht gegeben sondern es wird gleich mit der Hölle gedroht. Da existiert dann eben auch so ein Gottesbild: "Wenn du kein Kopftuch trägst, kommst du nicht ins Paradies." Da wird von Gott die gleiche Reaktion erwartet wie von den Eltern: "Wenn du diesen Mann heiratest, bist du nicht mehr unsere Tochter."
Nun denke ich, dass sich das irgendwie gegenseitig beeinflusst. Dass also dieses Gottesbild dazu führt, dass alles besonders streng gehandhabt wird und deshalb auch die Erziehung der Kinder so abläuft. Dass aber andererseits, wenn die eigenen Eltern bereit sind, die Gefühle ihrer Kinder komplett zu ignorieren, sie auch gar nicht auf die Idee kommen, dass Allah unsere Gefühle eben nicht ignoriert sondern sie sogar ernstnimmt.
Ich habe z. B. in Ägypten mehr als einmal überlegt: das "autoritäre" Gottesbild reflektiert eine verbreitete Familienstruktur - mit einem autoritäten, das Recht zur Einforderung von automatischem Gehorsam und zur Strafe habenden Vater/Familienoberhaupt an der Spitze? Und dann die gleiche Struktur nochmal - im ganz großen Wurf gesehen?
Und - auch im "traditionellen" Kontext - gibt es ja andere Varianten, wie eine Familie "funktioniert". In Bezug auf Religion bedeutet das dann vielleicht immer noch ein tiefreligiöses Leben/einen tiefen Glauben, der aber nicht in diesem Korsett von Forderung und Verbot und Sanktion erstarrt ist, auch: "liebevoller" gelebt wird - mit anderen, aber auch sich selbst gegenüber.
- Musafira
- Administratorin
- Beiträge: 9215
- Registriert: Do 15. Mai 2003, 17:34
- Wohnort: Jenseits von Afrika
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Oder vielleicht ist es auch gerade andersherum? Nicht das autoritaere Gottesbild bestimt die autoritaeren Strukturen allgemein, sondern weil die Strukturen so autoritaer sind, nimmt man automatisch an, dass Gott wohl genauso autoritaer sein soll. Willkuerherrschaft ist in arabischen Laendern schon seit Jahrhunderten gang und gaebe, da hat man natuerlich ein Interesse daran, dass die Strukturen autoritaer bleiben - und da passt dann auch ein autoritaeres Gottesbild dazu, denn Menschen, die an so einen autoritaeren Gott glauben, bleiben auf ewig obrigkeitsglaeubig und haben viel zu viel Angst, ueberkommene Strukturen zu hinterfragen.
Manche Leute meinen, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben, dabei war es nur eine Buchstabensuppe.
Re: Erziehungsmethoden und Gottesbild
Ich vermute das ist so etwas wie die Frage mit dem Ei und der Henne.Musafira hat geschrieben:Oder vielleicht ist es auch gerade andersherum? Nicht das autoritaere Gottesbild bestimt die autoritaeren Strukturen allgemein, sondern weil die Strukturen so autoritaer sind, nimmt man automatisch an, dass Gott wohl genauso autoritaer sein soll. Willkuerherrschaft ist in arabischen Laendern schon seit Jahrhunderten gang und gaebe, da hat man natuerlich ein Interesse daran, dass die Strukturen autoritaer bleiben - und da passt dann auch ein autoritaeres Gottesbild dazu, denn Menschen, die an so einen autoritaeren Gott glauben, bleiben auf ewig obrigkeitsglaeubig und haben viel zu viel Angst, ueberkommene Strukturen zu hinterfragen.
Insgesamt begünstigen sich autoritäres Gottesbild und autoritäre Strukturen gegenseitig doch sehr.