Interview mit Wolfgang Schäuble zur Islamkonferenz
"Wir ertragen uns"
Im Gespräch mit Sabine am Orde und Ulrich Schulte äußert sich Innenminister Wolfgang Schäuble über die vierte Islamkonferenz, den Dialog mit den Muslimen, die Ängste der Deutschen und den islamistischen Verband Milli Görüs.
Herr Schäuble, Ihr Ministerium hat zur Feier des 60-jährigen Geburtstags des Grundgesetzes keine Vertreter der Muslime eingeladen. Aber Sie sagen: Der Islam ist Teil Deutschlands. Passt das zusammen?
Wolfgang Schäuble: Ganz klar, dass es keine Einladung gab, war ein bedauerlicher Fehler. Ich habe direkt nach dem Staatsakt am 22. Mai bei meinen Leuten nachgefragt, warum wir das nicht gemacht haben.
Und warum?
Schäuble: Wir haben nicht dran gedacht.
Peinlich.
Schäuble: Ja, Integration ist eben ein Lernprozess, auch in meiner Behörde. Wenn das nächste Mal ein vergleichbares Ereignis stattfindet, werden wir auch Repräsentanten der Muslime einladen - neben Vertretern der Kirchen, der Griechisch-Orthodoxen und der jüdischen Gemeinde.
Haben die Deutschen nach wie vor Angst vor dem Islam?
Schäuble: Nein, das glaube ich nicht.
Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2006 halten 80 Prozent der BürgerInnen Muslime für fanatisch, 60 Prozent sagen, der Islam und Demokratie vertragen sich nicht.
Schäuble: Zunächst ist mein Vertrauen in Umfragen sehr begrenzt. Und ich glaube, gerade in den vergangenen Jahren hat unsere Gesellschaft viel dazugelernt. Vorurteile haben abgenommen, der Widerstand gegen Moscheebauten zum Beispiel auch.
Ein Moscheebau in Köln hat für heftige Proteste gesorgt.
Schäuble: Das liegt schon gut zwei Jahre zurück. Am Ende war es fast nur noch der Publizist Ralph Giordano, der dagegen war. Und als vor ein paar Wochen fundamentalistische Islamgegner in der Stadt mit einem Kongress mobil machen wollten, hatten sie keine Chance, weil sich ihnen ein breites Bürgerbündnis entgegenstellte.
Vergangene Woche haben Sie wieder zur Islamkonferenz geladen. Was hat Sie bei den Islamkonferenzen bislang am meisten überrascht?
Schäuble: Ich war überrascht, wie schnell wir bei all dem Streit eine Atmosphäre geschaffen haben, in der die Arbeit Freude macht. Es herrscht das Gefühl, wir packen zusammen etwas an. Anfangs hatte ich befürchtet, das geht keine zehn Minuten gut. Wie soll der Islamratsvorsitzende Ali Kizilkaya mit der Frauenrechtlerin Seyran Ates in einem Raum sitzen? Aber es geht, wir ertragen uns.
Ist das schon ein Erfolg? Sich zu ertragen?
Schäuble: Bevor man sich schlägt, ist das ein Erfolg.
Wenn das die Messlatte ist …
Schäuble: Im Ernst: Die Konferenzteilnehmer streiten miteinander, sie pflegen eine demokratische Diskussionskultur. Das allein ist ein Riesenerfolg. Denn damit haben auch die Muslime in Deutschland die Pluralität des Islam anerkannt. Und auch bei den Vertretern des deutschen Staates, die in der Konferenz sitzen, ist etwas passiert.
Gut und schön. Aber welche Projekte hat die Islamkonferenz beschlossen?
Schäuble: Wir sind zum Beispiel ein gutes Stück bei dem Ziel vorangekommen, islamischen Kindern Religionsunterricht an Schulen anzubieten. Indem wir gemeinsam ein genaueres Verständnis darüber entwickelt haben, dass man Religionsunterricht nur partnerschaftlich einführen kann. Dazu braucht es - so will es das Grundgesetz - Organisationen, die die Voraussetzungen für eine Religionsgemeinschaft erfüllen.
Von einem islamischen Religionsunterricht, der dem katholischen und evangelischen gleichgestellt ist, sind die Länder weit entfernt. Hier ist die Konferenz gescheitert.
Schäuble: Nein, dieser Prozess braucht seine Zeit. In vielen Bundesländern gibt es inzwischen Modellversuche, islamischen Kindern etwas über ihre Religion beizubringen, etwa mit dem Fach Islamkunde. Die Islamkonferenz hat auch vielmehr die Voraussetzungen dafür definiert, islamischen Religionsunterricht einzuführen, wenn ihn die Muslime wollen - und dann bleibt die Frage, ob muslimische Organisationen diese Voraussetzungen erfüllen wollen. So sind etwa bestehende Vereine wie der Islamrat zwar ein religiöser Verein, aber eben keine religiöse Gemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes. Die braucht es jedoch für Religionsunterricht.
Die konservativen islamischen Verbände hofften, im Zuge der Konferenz als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Dieser Hoffnung haben Sie eine Absage erteilt. Entwickeln sich die Organisationen in diese Richtung?
Schäuble: Ich glaube, die Anerkennung wird von den Moscheegemeinden ausgehen, denn da findet die Glaubensausübung statt. Ditib könnte sich in die Richtung einer Religionsgemeinschaft entwickeln. Über den Reformbedarf bei Ditib haben wir auch bereits mit der türkischen Religionsbehörde gesprochen.
Ditib ist von der Türkei abhängig. Der Vorsitzende ist Beamter des türkischen Staates.
Schäuble: Ja, aber Ditib-Vertreter lösen sich ein Stück weit, sie werden selbstständiger. Das geht voran.
Das Problem ist doch, dass der Islam schlicht nicht in das deutsche Religionsverfassungsrecht passt, weil das an den christlichen Kirchen ausgerichtet ist.
Schäuble: Nein, wir gehen davon aus, dass das Religionsverfassungsrecht ausreichend offen auch für nichtchristliche Religionsgemeinschaften ist. Vor allem, weil es in erster Linie um Organisationsfragen geht.
Hat die Islamkonferenz auch etwas Konkretes erreicht?
Schäuble: Es gibt keine neuen Gesetze und Verordnungen, wenn Sie das meinen. Alle muslimischen Vertreter haben sich ohne jeden Vorbehalt zur Ordnung des Grundgesetzes bekannt. Und zwar nicht so, dass man es sagt, aber letztlich nicht meint.
Kommt von den Debatten in der Islamkonferenz eigentlich irgendetwas in den muslimischen Communities an?
Schäuble: Natürlich sind solche Diskussionen vor allem erst einmal Diskussionen zwischen Eliten. Aber wir erwarten schon von den muslimischen Mitgliedern der Islamkonferenz, dass sie die Inhalte in ihre Communities tragen. Meine Äußerung, dass der Islam Teil Deutschlands ist, die ist angekommen. Das merke ich an den Reaktionen der Menschen. Die haben mitgekriegt, dass wir uns bemühen.
Herr Schäuble, die Münchener Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Generalsekretär der islamistischen Organisation Milli Görüs, Oguz Ücüncü, und den Präsidenten der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), Ibrahim El-Zayat, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ücüncü ist im Sicherheitsgesprächskreis der Islamkonferenz, El-Zayat, der vielerorts die Strippen zieht, zumindest über seinen Dachverband vertreten. Diskreditiert das die Islamkonferenz?
Schäuble: Nein, denn wir haben Herrn Ücüncü gebeten, nicht mehr an dem Gesprächskreis Sicherheit teilzunehmen, und dem ist auch entsprochen worden. Zudem gilt immer die Unschuldsvermutung. Milli Görüs selbst ist nicht Mitglied in der Islamkonferenz.
Aber Milli Görüs dominiert den Islamrat - und der ist in der Islamkonferenz vertreten.
Schäuble: Milli Görüs wird weiter vom Verfassungsschutz beobachtet. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit ihnen sprechen. Die Gutwilligen wollen wir ja gewinnen.
Warum wollen Sie die Islamkonferenz in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen?
Schäuble: Weil die Probleme noch nicht gelöst sind. Oder haben Sie den Eindruck, dass die Lösung von religionsrechtlichen Fragen und die Verbesserung der gesellschaftlichen Integration so weit vorangeschritten sind, dass der Dialogprozess bereits am Ende wäre?
Was ist Ihr langfristiges Ziel?
Schäuble: Mein Ziel ist eine gewisse Gleichstellung des Islam, also eine ähnliche Form der staatlichen Kooperation mit den Muslimen in Deutschland wie mit anderen Religionsgemeinschaften. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses Land von der christlichen Religion und Kultur geprägt ist. Das ist kein Gegensatz. Und wenn Muslime und Mehrheitsgesellschaft empfinden würden, dass es keinen Unterschied macht, welche Religion jemand hat, wäre viel gewonnen.
Interview: Sabine am Orde & Ulrich Schulte
© Die Tageszeitung 2009
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