Kultur/USA

Bereicherung oder Krisenherd? (für Gäste lesbar)
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Silvia
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Kultur/USA

Beitrag von Silvia »

http://usaerklaert.wordpress.com/2011/0 ... merikaner/
Ja! Lest diesen Link!
Amerikaner behaupten in Umfragen, sie seien ja so religiös, dabei sind sie bloß normal religiös.
Weil religiös sein ein wichtiger amerikanischer Wert ist. Deshalb.
Wenn man also einen Progressiven bzw sonstwen, bzw Random J. frägt, "Bist Du religiös?", und er ist Amerikaner,
antwortet er erstmal grundsätzlich mit "Ja".
Das erklärt einiges.
LG,
silvia
malaika

Re: Kultur/USA

Beitrag von malaika »

Hallo!

Abgesehen davon, dass ich nicht wirklich verstehe, nach welchen Maßstäben man "so religiös" oder "normal religiös" definiert, verstehe ich irgendwie überhaupt nicht, was du uns mit diesem Posting sagen willst oder was an diesem Thema für dich wichtig ist. Warum interessiert es dich, wie oft Amerikaner in die Kirche gehen, und warum soll uns interessieren wie "religiös" Amerikaner sind?
:confused:
VIelleicht kannst du dich ein wenig genauer ausdrücken?
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jalees
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Re: Kultur/USA

Beitrag von jalees »

@malaika

Deine Frage, warum man sich ueberhaupt fuer amerikanische Kirchenbesuche interessieren sollte, ist wirklich gut, und wird auch in diesem Link nicht richtig diskutiert. Der Link, der von Silvia gepostet wurde, bezieht sich auf eine sehr interessante religionssoziologische Studie, die in den fruehen 90er Jahren durchgefuehrt wurde. Falls Du durch Deine Uni oder Google Scholar Zugang zu Fachzeitschriften hast, kann ich Dir den Artikel sehr empfehlen. Es ist schon viele Jahre her, dass ich den Artikel gelesen habe, aber ich weiss, dass er super-interessant war und mich damals fast dazu inspiriert hat, eine aehnliche Umfrage in Moscheen durchzufuehren:
What the Polls Don't Show: A Closer Look at U.S. Church Attendance
C. Kirk Hadaway, Penny Long Marler and Mark Chaves
American Sociological Review
Vol. 58, No. 6 (Dec., 1993), pp. 741-752
Published by: American Sociological Association
http://www.jstor.org/stable/2095948

Was der Artikel von Hadaway naemlich besagt ist, dass Amerikaner ein falsches Bild von der Regelmaessigkeit ihrer eigenen Kirchenbesuche haben. In Umfragen geben sie an, sie wuerden doppelt so oft zur Kirche gehen, als sie es eigentlich wirklich tun. Es scheint also, dass Amerikaner selbst in anonymen Umfragen, nicht zugeben moechten, dass sie die Kirche meiden. Die Autoren der Studie haben spaeter behauptet, sie haetten in England das gleiche Ergebnis gefunden, allerdings bezweifeln europaeische Religionssoziologen, dass es in Europa auch so ist. Man geht davon aus, dass man in Europa nicht diesen Gewissenszwang spuert, zur Kirche zu gehen, und daher auch in Umfragen offen zugibt, dass man nicht zur Kirche geht. Eine sehr gute Diskussion dieser Frage gibt es in dem Buch „Religious America, Secular Europe?: A Theme and Variations“ von Peter Berger, wo gefragt wird, was denn der Grund fuer diese Selbsttaeuschung der Amerikaner sei. Ich glaube eine Analyse im Berger-Buch besagt, dass in den USA das "In die Kirche gehen" normativ von der Gesellschaft verlangt wird, und man sich daher selber taeuscht indem man glaubt oefter zu gehen als es der Fall ist. In Europa sei das "in die Kirche gehen" keine moralische Norm mehr, daher muessten sich Europaer nicht selber taeuschen.

http://www.amazon.com/Religious-America ... 5&sr=8-1#_
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malaika

Re: Kultur/USA

Beitrag von malaika »

Google Scholar? Nie gehört …  :oops:

No offense – was du da kurz anreißt, klingt für mich nicht unlogisch, aber ich verstehe nicht so ganz, was daran so interessant sein soll. Kannst du das vielleicht genauer erklären?
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jalees
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Re: Kultur/USA

Beitrag von jalees »

malaika hat geschrieben:Google Scholar? Nie gehört …  :oops:
Google Scholar ist eine der Google.com Suchfunktionen (so wie Google Maps, Google Books, Google News), die alle Fachzeitschriften durchsucht (Philosophie, Soziologie, Medizin, Physik, Biologie, Psychologie, usw). Leider sind viele Artikel nicht kostenlos, aber es ist eine tolle Suchfunktion, die ich vor allem fuer Artikel in den Geisteswissenschaften / Philosophie benutze.
malaika hat geschrieben:No offense – was du da kurz anreißt, klingt für mich nicht unlogisch, aber ich verstehe nicht so ganz, was daran so interessant sein soll. Kannst du das vielleicht genauer erklären?
Als Hadaway 1993 sein Paper publizierte, gab es grosses Interesse, weil es die "Religiositaet" der Amerikaner in Frage stellte. In Umfragen hatten 40% der Amis angegeben, sie wuerden regelmaessig in die Kirche gehen. Als Hadaway das objektiv gemessen hat, waren es nur 20%. Es gab danach in den Medien, unter Theologen und Soziologen viele Diskussionen, wie man denn ueberhaupt "Religiositaet" messen koenne, ob Kirchenbesuch ueberhaupt ein richtiges Mass sei, ob die Amis sich ihre groessere Religiositaet im Vergleich zu Europa nur einbilden, usw.

Was ich interessant fand (no offense taken :) ) war der Grund, warum die Leute hoehere Kirchenbesuche angaben. Das wurde nie so richtig erforscht. Die Umfragen die 40% Kirchenbesuche zeigen sind ja anonym. Taeuschen sich diese Menschen selber und glauben sie, dass sie viel oefter in die Kirche gehen? Oder wissen sie, dass sie nicht in die Kirche gehen und schaemen sich nur? Und wenn sie sich schaemen und bewusst luegen oder sich nur selbst taeuschen, warum ist das der Fall? Kommt der Druck zum Luegen oder Selbsttaeuschen von der Gesellschaft? Von ihrer Erziehung? Haben wir in Europa einen aehnlichen Druck? Solche Studien gab es damals nicht unter Muslimen, und das hat mich auch interessiert, ob Muslime auch so reagieren.
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Re: Kultur/USA

Beitrag von jalees »

@malaika

Glaubst Du, dass Muslime bei der Frage nach regelmaessigem Beten oder Fasten (wenn man diese als "Messungen der Religionsausuebung" betrachtet) in einer anonymen Umfrage ehrliche und realistische Werte angeben wuerden, oder eher deutlich hoehere Werte? Wenn sie deutlich hoehere Werte angeben wuerden, waere es aufgrund von Selbsttaeuschung? Oder wuerden sie bewusst luegen, weil sie sich schaemen, dass sie nicht genug beten? Wuerde es zwischen Maennern und Frauen Unterscheide in der "Ehrlichkeit" geben? Wuerde es solche Unterschiede auch zwischen Konvertiten und "geborenen" Muslimen geben? Wenn ich z.B. ein Forschungsprojekt ueber des Selbstverstaendnis der Religionsausuebung von Muslimen durchfuehren muesste, waere diese "Ehrlichkeit" sich selbst gegenueber ein Thema, das mich sehr interessieren wuerde.
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Re: Kultur/USA

Beitrag von Musafira »

Selbsttaeuschung ist schon ein interessantes Thema ;) .

Ich kann mir sogar vorstellen, dass in manchen europaeischen Laendern (z.B. Deutschland, Frankreich, Niederlande) Leute es eher NICHT zugeben wuerden, wenn sie in die Kirche gehen. Evtl. koennte also der Kirchenbesuch bei einer Umfrage eher zu wenig reflektiert werden.

Bei Muslimen wuerde ich auf ein sehr hohes Mass an Selbsttaeuschung tippen - auch schon deshalb, weil ja gesagt wird, wenn man schon "suendigt" dann soll man es still und heimlich tun, aber bloss nicht offen darueber reden, weil man sonst andere dazu anregen koennte, ebenfalls zu suendigen.
Manche Leute meinen, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben, dabei war es nur eine Buchstabensuppe.
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Re: Kultur/USA

Beitrag von nurhrii »

Dazu fällt mir nur folgendes ein: "Rede nur über Deinen Glauben, wenn Du gefragt wirst, aber lebe so, dass Du gefragt wirst." ...alles andere ist, wie Musafira schon schrieb, Selbsttäuschung sich selbst und anderen gegenüber. 8)
Auch wenn ich versuchen wollte, Liebe zu beschreiben, wenn ich sie erfahre, bin ich sprachlos. - Rumi
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Re: Kultur/USA

Beitrag von Maymuna »

Musafira hat geschrieben:Ich kann mir sogar vorstellen, dass in manchen europaeischen Laendern (z.B. Deutschland, Frankreich, Niederlande) Leute es eher NICHT zugeben wuerden, wenn sie in die Kirche gehen. Evtl. koennte also der Kirchenbesuch bei einer Umfrage eher zu wenig reflektiert werden.
Ja, aber ich denke für andere Länder oder zumindest ländliche Regionen in manchen Ländern könnte es dann wieder genauso aussehen wie in den USA. Ich finde es übrigens allgemein sehr störend, dass Europa immer als kulturell einheitlich gesehen wird. Es gibt hier so viele Unterschiede. Man kann nicht einfach die USA und Europa gegenüberstellen, da muss man schon bestimmte europäische Länder nennen.

Bei Muslimen tippe ich auch darauf, dass es zu völlig unrealistischen Angaben kommen würde. Welcher konservative Muslim würde denn z.B. schon öffentlich zugeben, wenn er nicht alle Gebete regelmäßig betet?!
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jalees
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Re: Kultur/USA

Beitrag von jalees »

Maymuna hat geschrieben:zumindest ländliche Regionen in manchen Ländern könnte es dann wieder genauso aussehen wie in den USA. Ich finde es übrigens allgemein sehr störend, dass Europa immer als kulturell einheitlich gesehen wird. Es gibt hier so viele Unterschiede. Man kann nicht einfach die USA und Europa gegenüberstellen, da muss man schon bestimmte europäische Länder nennen.
Genau das muesste man ja genauer erforschen. Die USA sind ja auch sehr heterogen. Die 1993 Studie in den USA wurde ja in einer einzigen Stadt durchgefuehrt. Kalifornien ist ja z.B. ganz anders als der konservativ-christliche Sueden. Selbst in Deutschland gibt es vielleicht Unterschiede zwischen katholischen und evangelischen Gemeinden, zwischen Ost und West oder Nord und Sued. Die meisten Sozialwissenschaftler wissen das ja und versuchen mit ihren "Europa-USA" Thesen einfach nur grobe Ideen ueber Europa und USA zu praesentieren, die sie dann genauer untersuchen.
Musafira hat geschrieben: Bei Muslimen wuerde ich auf ein sehr hohes Mass an Selbsttaeuschung tippen - auch schon deshalb, weil ja gesagt wird, wenn man schon "suendigt" dann soll man es still und heimlich tun, aber bloss nicht offen darueber reden, weil man sonst andere dazu anregen koennte, ebenfalls zu suendigen.
Das waere ja eher eine Art Luegen (weil man ja weiss, dass man still suendigt). Oder glaubst Du, dass Muslime sich auch eher selbst taeuschen und ihr Tun und Handeln in ihren eigenen Gedanken eher beschoenigen als Mitglieder anderer Religionen? Es ist ja bei jeder individuellen Person anders, aber es wuerde mich interessieren, ob im Durchschnitt Muslime eher zur Selbsttaeuschung neigen.

Maymuna hat geschrieben:Bei Muslimen tippe ich auch darauf, dass es zu völlig unrealistischen Angaben kommen würde. Welcher konservative Muslim würde denn z.B. schon öffentlich zugeben, wenn er nicht alle Gebete regelmäßig betet?!
Es ist ja nicht "oeffentlich", sondern auf einem anonymen Fragebogen. Es besteht also keine Gefahr der direkten Blosstellung vor anderen Menschen, nur die Angst der Blosstellung vor Gott und dem eigenen Gewissen.
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