Die Essenz des Glaubens

Verschiedene Richtungen im Islam. Theologische Konzepte. Forschung (für Gäste lesbar)
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jalees
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Die Essenz des Glaubens

Beitrag von jalees »

In einem anderen Thread wurde gerade der Begriff "Essenz" fuer den Glauben benutzt. Es ging darum, ob z.B. die Verrichtung der Gebete in der traditionellen Form (Wudu, fuenf Gebete, herkoemmliche Verrichtung der Rakah auf Arabisch, Traditonelle Anzahl der Fard, Sunnah und Nafl Rakah, usw) zur Essenz gehoeren. Eine alternative Auslegung ist ja, dass die Gebete an sich nicht zur Essenz gehoeren, aber nur einen Weg darstellen, um die eigentliche Essenz des Glaubens zu finden. Ein anderer Diskussionspunkt war, ob dann die Essenz des Islam auch identisch mit der Essenz des Christentums, Judentums oder Buddhismus sei. Sind nur die Wege zu der einen universellen Essenz verschieden, oder hat jede Religion eine unterschiedliche Essenz?
"Wie der stille See seinen dunklen Grund in der tiefen Quelle hat, so hat die Liebe eines Menschen ihren rätselhaften Grund in Gottes Licht."
Søren Kierkegaard

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samsara
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von samsara »

Auf diese Frage gibt es genauso viele Antworten wie es Menschen gibt.......glaube ich, darüber muss ich nachdenken...
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jalees
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von jalees »

Ich benutze den Begriff Islam manchmal fuer den Weg und manchmal fuer das Ziel. Islam als Ziel verkoerpert fuer mich einen Zustand der Hingabe, des Gluecks, des erweiterten Bewusstseins, der Erleuchtung, der Befreiung. Dieses endgueltige Ziel ist eigentlich kaum von den Zielen des Buddhismus, Hinduismus, Christentums, oder Humanismus zu unterscheiden. Daher ist fuer mich die Essenz des Islams als Ziel im Prinzip die gleiche Essenz, wie man sie auch in anderen Religionen oder humanistischen Ideologien findet.

Oft benutze ich aber den Begriff "Islam" fuer den Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Die Essenz dieses Weges beinhaltet den Glauben an eine monotheistische Gottesfigur, das Beten, die Orientierung am Koran, sich um andere Menschen kuemmern, u.v.a.

Wie man aber genau betet (Rakah oder einfach nur ein Zwiegespraech mit Gott), wie man spendet (traditionelle Zakat oder Spenden an das Rote Kreuz oder selber anpacken), wie man den Koran liest (historisch-kritische Exegese, mystische Interpretation, den Koran als wortwoertliche und unveraenderte Anweisung Gottes fuer alle Ewigkeit sehen) gehoert nicht zur "Essenz" des Weges, sondern zur persoenlichen Form des Weges.

Edits: Rechtschreibfehler
Zuletzt geändert von jalees am Do 19. Jan 2012, 17:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Beate
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von Beate »

Es wurde auch gefragt, wie man drauf komme, dass Absichten und Seelenzustände das eigentlich Wichtige seien und ob das nicht einfach nur eine subjektive Wahrnehmung sei?

NEIN!
Es ist weder abwegig, noch eine subjektive Wahrnehmung, sondern schlicht und ergreifend DAS zentrale Thema des Korans an sich.

Es fängt an mit Adam und Eva und Iblis und damit, dass Adam und Eva begannen, gierig zu werden und meinten, sie hätten im Paradies noch nicht genug, und es geht um Iblis, der sich für besser hält, weil er aus Feuer ist und der hinterlistig und verlogen ist und wütend und hasserfüllt.
Und dieses Thema zieht sich durch den ganzen Koran. Der Koran ist nichts anderes als eine Variation dieses Themas.
Und dieses Thema wird über eine Fülle von konkreten Beispielen illustriert.
Und wer mir das nicht glauben will, sollte doch einfach mal den Koran lesen!
Sure 18
[103] Sprich: "Sollen Wir euch die nennen, die bezüglich ihrer Werke die größten Verlierer sind?
[104] "Das sind die, deren Eifer im irdischen Leben in die Irre ging, während sie meinen, sie täten gar etwas Gutes."
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von jalees »

Beate hat geschrieben:Es wurde auch gefragt, wie man drauf komme, dass Absichten und Seelenzustände das eigentlich Wichtige seien und ob das nicht einfach nur eine subjektive Wahrnehmung sei?
Ich dachte, dass sogar Konservative und Fundis akzeptieren, dass die Absichten, Seelenzustaende und das Bewusstsein das eigentlich Wichtige seien (die Betonung der Niyyah und Taqwa im Koran und der tradition), aber die Konservativen und Fundis betrachten zusaetzlich auch noch die auesserlichen Formen als absolut notwendig.
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Beate
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von Beate »

ja, für sie ist die richtige Niyya dann gegeben, wenn man sich willen- und widerstandslos dem Willen Gottes, de facto den Fatwas der Gelehrten, unterwirft.
DAS ist für sie die richtige Einstellung. Eine Reflexion über Selbstlosigkeit - Selbstsüchtigkeit, Dankbarkeit - Gier, Mitgefühl - Egoismus, findet nicht statt.
Sure 18
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von Fatima »

Beate hat geschrieben:ja, für sie ist die richtige Niyya dann gegeben, wenn man sich willen- und widerstandslos dem Willen Gottes, de facto den Fatwas der Gelehrten, unterwirft.
DAS ist für sie die richtige Einstellung. Eine Reflexion über Selbstlosigkeit - Selbstsüchtigkeit, Dankbarkeit - Gier, Mitgefühl - Egoismus, findet nicht statt.
dann hast du nicht die Erklärungen der 40 Hadithe von Imam Khomeini gelesen, dort werden genau diese Dinge thematisiert. Es gibt eben nicht nur fatwahörige, nicht reflektierende "Fundis" auf der einen und immer reflektierende, differenzierende, weise "Progressive" auf der anderen Seite.
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von Beate »

meinst du den Khomeini, der erst mal Massen hat hinrichten lassen, damit er sich ja keiner Kritik mehr zu stellen braucht? Dessen Thesen interessieren mich nicht.
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Re: Die Essenz des Glaubens

Beitrag von jalees »

Fatima hat geschrieben:Es gibt eben nicht nur fatwahörige, nicht reflektierende "Fundis" auf der einen und immer reflektierende, differenzierende, weise "Progressive" auf der anderen Seite.
Bist Du Dir da sicher? In der Einleitung des Handbuchs fuer Progressive Muslime steht naemlich, dass nur die progressiven Muslime reflektieren und differenzieren.
Fatima hat geschrieben:dann hast du nicht die Erklärungen der 40 Hadithe von Imam Khomeini gelesen, dort werden genau diese Dinge thematisiert.
Ich kenne schon viele Fundis und Konservative, die sich ueber Mitgefühl und Egoismus, Dankbarkeit und Gier, usw Gedanken machen. Allerdings ist es nicht leicht mit Ihnen ins Gespraech zu kommen, da fuer sie nur ihre Interpretation oder die Interpretation ihrer Berater/Gelehrten ausschlaggebend ist. Als konkretes Beispiel kann ich eine Gespraechsrunde mit muslimischen Gelehrten erwaehnen, fuer die jede Art des Atheismus eine Manifestation des Egoismus war. Als ich Beispiele von humanistischen Atheisten nannte, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um anderen Menschen in Not zu helfen, dann meinten sie dass das keine wahre Selbstlosigkeit sei, sondern nur eine Befriedigung eines egoistischen Triebs, anderen Menschen zu helfen. Wahre Selbstlosigkeit fuer sie besteht dann, wenn man es fuer Gott tut.

Fuer mich gehoert z.B. die Reflektion ueber die Natur des Egoismus und der Selbstlosigkeit zu der Essenz des Islam - aber auch zur Essenz vieler anderen Religionen und auch zur Essenz des atheistischen Humanismus. Als ich vor vielen Jahren "Der Fall" von Albert Camus las, fand ich, dass seine Gedanken zum Thema Selbstlosigkeit die Essenz "meines" Glaubens ausdruecken.
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