Gläubig auf Probe

[Lila]

Ich habe gar nicht gemerkt, dass sich Beate nur auf Ordensleute bezieht?

Ich selber würde sehr gern darüber diskutieren, in wie weit Religion als individuelles Projekt möglich ist, auch wenn ich begreife, dass Konvertitinnen zum Islam in der BRD oft nicht wirklich eine Wahl haben.

[Beate]

Ich habe ja gar nichts gegen das Klosterleben an sich. Ich finde es nur nicht richtig, wenn es so dargestellt wird, als wären Menschen, die in Klöstern leben, automatisch die besseren Experten für ihre eigene Religion. Das kam ein bißchen so rüber in der Doku. Warum sollten Menschen, die sich in Beruf, in Familie, in ihrer Nachbarschaft etc. bewähren müssen, nicht auch Experten für den Glauben sein?
Ich reagiere einfach sehr empfindlich auf alles, was nach elitär aussieht, und was den kleinen Mann ausschließt.

[Lila]

Als Experten für den Glauben kamen doch die islamische Familie und die Jugendlichen und der Buddhist auch vor.

edit: die sehr anrührenden Kinder habe ich noch vergessen.

[Ji'un Ken]

Aber durch einen Rückzug entzieht man sich ja auch vielen kniffligen Situationen. Wenn man an einem Ort lebt, an dem alles so eingerichtet ist, dass es bequem ist und an dem nur Menschen leben, die dieselbe Einstellung haben, muss man sich doch viel weniger Schwierigkeiten stellen. Ist das Sinn der Sache?

Es ist leicht, auf dem Berg ein Heiliger zu sein, heißt es im Zen.
Das heißt aber nicht, das der Berg schlecht ist. Er ist ein Hilfsmittel. Im Zen ist das Ziel der Marktplatz.
Hier http://homepage2.nifty.com/sanbo_zen/cow_d.html findest du die Bilder zu diesen Gedanken.
Es geht im Zen darum, seine Religion im Alltag zu leben. Dazu ist es hilfreich, sich von Zeit zu Zeit zurück zu ziehen. Ich mache das regelmäßig.

....Man muss mit dem rechten Fuß die Moschee betreten, man beginnt das Iftar mit einer Dattel etc. ...

Ähnliche Regeln gibt es auch im Zen Sie haben ihren Sinn. Sie zwingen den Teilnehmer achtsam zu sein, darauf zu achten, was er tut und nicht im Halbschlaf vor sich hin zu latschen

Kann man den Glauben nur finden, wenn man sich abschottet?.....Aber durch einen Rückzug entzieht man sich ja auch vielen kniffligen Situationen. Wenn man an einem Ort lebt, an dem alles so eingerichtet ist, dass es bequem ist und an dem nur Menschen leben, die dieselbe Einstellung haben, muss man sich doch viel weniger Schwierigkeiten stellen. Ist das Sinn der Sache?

Ja und Nein, es erleichtert es am Anfang.

...Ich selber würde sehr gern darüber diskutieren, in wie weit Religion als individuelles Projekt möglich ist, auch wenn ich begreife, dass Konvertitinnen zum Islam in der BRD oft nicht wirklich eine Wahl haben.

Was verstehst du unter einem individuellen Projekt?

Liebe Grüße
Ji'un Ken

[Anisah]

Was mich betrifft ist der Islam ein individuelles Projekt.

Was die Regeln angeht sehe ich es wie Ji'un Ken: sie erleichtern es, den Zugang zu finden. Und sie zwingen Dich, im Alltag achtsam zu bleiben. Die Idee scheinbar sinnloser Regeln gibt es ja in vielen Religionen.

[Beate]

Wenn die Regel dazu dient, dass man achtsamer wird, ist sie ja nicht sinnlos. Wenn es aber eine Regel gibt, die besagt, dass die rechte Seite gut und die linke Seite schlecht ist, ist das für mich eine unsinnige Regel.

[Lila]

Die Formulierung stammt nicht von mir sondern von dem Reporter. Er meinte damit wohl, dass er für sich persönlich einen Zugang zur Religion suchte, nicht die Welt gerettet haben wollte oder auch nur einen Nächsten, sondern speziell Sinn für sich und sein Leben.

[Beate]

Die Formulierung stammt nicht von mir sondern von dem Reporter. Er meinte damit wohl, dass er für sich persönlich einen Zugang zur Religion suchte, nicht die Welt gerettet haben wollte oder auch nur einen Nächsten, sondern speziell Sinn für sich und sein Leben.

Ich hatte das eher so verstanden, dass er in sich selbst nach der Wahrheit suchen soll und nicht in den Schriften oder in dem, was andere ihm sagen. Gott oder die Wahrheit steckt in ihm selbst und nur dort kann er sie finden.

[Lila]

Wenn er in sich suchen wollte, wofür hat er dann alle die religiösen Menschen besucht und versucht, an ihrer religiösen Praxis teilzunehmen?
Die Fragestellung war doch, dass das, was er in sich selbst hat, ihm jetzt im Alter zu wenig vorkommt.

[hoffnung]

Ich fand die Reportage auch sehr interessant. Ich konnte es sehr gut nachvollziehen, als er gesagt hat, er spürt "es" nicht. Ich weiß nicht genau an welcher Stelle das war. Ich werde mir das noch Mal ansehen.

[Hannah]

Ich selber würde sehr gern darüber diskutieren, in wie weit Religion als individuelles Projekt möglich ist, auch wenn ich begreife, dass Konvertitinnen zum Islam in der BRD oft nicht wirklich eine Wahl haben.

Salam Lila,
wieso denkst du, dass Konvertitinnen zum Islam in der BRD oft nicht wirklich eine Wahl haben? Diese Fragestellung finde ich spannend, weil ich bevor ich meinen Partner kennengelernt habe ehrlich gesagt auch so dachte. Jetzt habe ich einige konvertierte Frauen in der Familie kennengelernt und bin überzeugt, dass sie das alle aus freien Stücken getan haben. Mein Partner übrigens meint, dass er mich nie drängen wird zu konvertieren, denn es muss aus dem Herzen kommen, denn Allah sieht das und nimmt Gebete etc. nicht an, wenn sie nicht wirklich aus dem Herzen kommen.


Zum Thema, ob Religion als individuelles Projekt möglich ist: Ich denke ja. Schon an meiner Kommunion (mit 8 Jahren) habe ich Zweifel gehegt an der Existenz Gottes. Nun ja, meine Eltern waren da auch nicht gerade ein gutes Vorbild. Ich bin halt zur Kommunion, weil alle es gemacht haben. Erst Jahre später habe ich angefangen mich über verschiedene Glaubensrichtungen zu informieren. Aber erst jetzt durch meinen Partner, der wirklich fest in seinem Glauben ist und diesen lebt, habe ich das erste Mal das Gefühl wirklich auf der Suche zu sein. Dass es da doch etwas geben muss. Ich fühle mich auf dem richtigen Weg. Daher mein individuelles Projekt. Wobei ich Projekt lieber mit Sinnfindung tausche.

Wasalam

[Lila]

Du hast mich mißverstanden, natürlich glaube ich jeder Konvertitin, dass sie freiwillig und in bewußter Entscheidung konvertiert ist.
Ich denke nur, dass an vielen Orten in Deutschland, zum Beispiel in meiner Stadt, viele Moscheegemeinden so sehr türkisch dominiert sind, sie nicht die Wahl haben, sich intensiv am Gemeindeleben zu beteiligen, da fast alle türkischen Frauen zuhause beten, die Geschlechtertrennung sehr strikt praktiziert wird und es so für eine Deutsche schwierig bis unmöglich ist, in der Gemeinde eine Rolle zu finden, die ihr auch gefällt.

[nurhrii]

Man müsste eine eigene liberale Gemeinde aufbauen

[noebaum]

Hallo Liebe Mechthild
Der Friede sei mit dir
Du hast recht. Da ist schon ein gewaltiger Unterschied. Es gibt kontemplative Orden die sich von der Außenwelt komplet abschotten. Andere Orden (z.B. Mutter Theresa) widmen ihr ganzes Leben den Mitmenschen.

An Gott zu glauben oder nicht zu glauben ist immer eine persönliche Entscheidung. Viele versuchen durch Übungen Gott zu finden. Der Orden der Mutter Theresa versucht vor allem im Mitmenschen Gott zu finden. Das Suchen alleine nützt nichts. Man muss sich schon auch von Gott finden lassen, man muß offen sein für Gott, Herz und Seele weit auftun.
Dazu ist es gut eine Zeit der Stille zu suchen und alle sich aufdrängenden Alltagsgedanken zurückweisen.

Freundliche Grüße Noebaum

[Hannah]

@lila: Ah ok, jetzt verstehe ich deine Frage. Eine Antwort hierauf finde ich sehr schwierig. Ich könnte mir vorstellen, dass jemand der konvertiert ist dies nicht getan hat, ohne schon mit Schwestern oder Brüdern Kontakt gehabt zu haben. Vielleicht dadurch auch konservative wie progressive Richtungen kennengelernt hat. In größeren Städten könnte man dann auf einen anderen Stadtteil ausweichen, wenn einem die Verhältnisse in der direkten Umgebung zu eng sind.