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von Lila » Mo 31. Okt 2011, 15:27
Ich halte das Brauchtum der Deutschen im Ausland weder für besonders ursprünglich noch für besonders geeignet zur Selbstvergewisserung der Deutschen in Deutschland geschweige denn als nützlich für in Deutschland lebende Migranten.
Die Rußlanddeutschen zum Beispiel konservieren einen Dialekt, den selbst Schwaben kaum noch verstehen und in dem große Teile des heutigen Wortschatzes gar nicht vorkommen. Der Kulturschock der in den 80-ger und 90-ger Jahren aus den Ostblockstaaten nach Deutschland kommenden war keinesfalls geringer als der der ganz neu zugewanderten Türken. Es war nicht nur der Unterschied zwischen Mangelwirtschaft und Supermärkten, es ging auch um Werte- und Moralvorstellungen, um öffentliche Auseinandersetzungen und Umgang mit Kritik und Meinungsvielfalt. Was in diesen Gruppen als "deutsch" überlebt hat, waren Reste der unterdrückten Sprache, ein unklares Überlegenheitsgefühl mit Betonung auf Sauberkeit und Ordnung, Rudimente einer ländlichen Tracht, speziell Hauben, und oft traurige Familiengeschichten.
In den USA überleben ehr folkloristische Elemente mit einem bayrischen Übergewicht, ganz egal, woher die Leute ursprünglich mal kamen, und was da in Südamerika so alles überlebt, dass will man sich lieber so genau nicht angucken.
Das man sich heute mehr als in meiner Jugend Gedanken um das spezifisch eigene, das gegen die Globalisierung zu Verteidigende macht, ist mir grundsätzlich sympatisch. Nun haben wir auf der Brauchtumsebene (Essen, Trinken, Dialekte, Feste ... ) nun mal fast nur lokale Traditionen. Die Kehrseite dieses Föderalismus besteht darin, dass wir solange noch nicht alles kaput gespart ist, mehr Orchester, mehr Theater, mehr Chöre und mehr Museen haben, als in fast allen Weltgegenden. Als Kunden sind Migranten in all diesen Institutionen ehr unterrepräsentiert, obwohl sie sie als Steuerzahler mitfinanzieren. Einladendes Verhalten auf der Anbieterseite und Neugier auf Seiten der Migranten in diesem Bereich finde ich da wesentlich sinnvoller als krampfhaft nach irgendwas typisch deutschem zu suchen, obwohl dann doch zuviel Alkohol, Schwein, christlicher Hintergrund für die Migranten bei rauskommt.
Wer von Euch möchte an einem westfälischen Wursten teilnehmen oder an einer Karnevalsfeier der Kolpingfamilie?