Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Was Überraschendes herausgefunden? Ist der Islam doch anders, als Du denkst? (für Gäste lesbar.)
Benutzeravatar
Dilara
Rumis Tochter
Rumis Tochter
Beiträge: 8102
Registriert: Mo 20. Feb 2006, 22:18
Wohnort: München

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von Dilara »

Ich kenne das aus meiner türkischen Familie bzw. von meinem türkischen Freundeskreis auch. Bei meinem Mann ist das noch extremer mit seinen Freunden, da geht das ständig hin und her. Allerdings wird das - unter engen Freunden und Familienmitgliedern - nicht aufgerechnet sondern ergibt sich einfach so. Ich bin auch schon öfter in den Genuß gekommen und hab dafür halt mal ein paar Wochen oder Monate später auch etwas getan. Aber ich hatte und habe nicht das Gefühl daß das gefordert wird. Finde ich auch gut so....
Inzwischen ist sogar mein Bruder soweit daß er "mal eben" über 100 km fährt um dann mit einem Achselzucken zu sagen "Was solls, ist für die Familie" :kiss2:
“God has revealed to me
that there are no rules for worship.
Say whatever and however your loving tells you to.
Your sweet blasphemy is the truest devotion.”
Rumi, translated by Coleman Barks
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

Musafira hat geschrieben:
Ja, genau, ich habe mit der Zeit auch gelernt, dass sich dort eben keiner "einfach so" um einen kuemmert, sondern immer eine Gegenleistung erwartet. Natuerlich werden dann Geschenke zum Dank zuerst einmal entruestet abgelehnt, aber es ist voellig normal, dass dann jemand vielleicht Monate spaeter mit einer Bitte um Gegenleistung auf einen zukommt - und wenn man diese Bitte ablehnt ist man untendurch.
Das stimmt, aber das haette ich jetzt nicht als "Gegenleistung" interpretiert. Sondern das ist genau das, was ich meinte als ich sagte dass die Beziehungen anders sind und das gegenseitige Aushelfen selbstverstaendlich ist. Natuerlich ist es asozial wenn dann jemand nicht mitmacht, weil er einfach zu egoistisch ist. Wenn er nicht kann, ist das was voellig anderes.

Es ist doch nur menschlich, dass man von anderen auch was erwartet. Insbesondere wenn man selbst so viel gibt. Was soll daran schlecht sein?

Ich finde es wunderbar, man fuehlt sich selbst geborgen in einem riesigen Netz von Bekanntschaften, und traegt auch selber dazu bei dass andere sich wohl fuehlen.

Hier in D. ist es meiner Erfahrung nach so, dass wenn Du anderen (ausser Freunden) hilfst, wirst Du schamlos ausgenutzt. In Aegypten gibt es das natuerlich auch (Taxi, Tourimarkt) aber ich habe es soooooooo oft anders erlebt. Und zwar auch bei Leuten bei denen klar war, dass ich sie nie wiedersehe (wo die Gegenleistung also von vorne herein ausgeschlossen war).


adaia hat geschrieben:
Und diese Gegenleistung wird auch nie vergessen. Mein Mann hat dieses Jahr einer Tante einen Gefallen tun können als Gegenzug zu einem Gefallen, den ihm deren Sohn vor 9 Jahren (!) gemacht hat.
Er war total erleichtert, dass er diese "Schuld" endlich los ist. Mir mutet das immer noch merkwürdig an, gerade in einer Familie, weil ich das ganz anders kenne, aber dort wird tatsächlich alles gegeneinander aufgerechnet.
so pauschal gesagt kann ich dem schon gar nicht zustimmen. Jeder macht seine Erfahrungen, ich habe andere gemacht und zwar tausendfach in Aegypten und Palaestina (wie gesagt, z.T. Faelle in denen Gegenleistung unmoeglich war) und noch viel oefter hier bei uns.

Wer hier bei uns NICHT aufrechnet wird in den allermeisten Faellen ausgenutzt und macht sich zum Deppen. Im Cafe freuen sich dann z.B. die anderen, dass sie Geld sparen weil du fuer sie bezahlst. "Alte Freunde" melden sich wieder wenn sie was brauchen (und nur deshalb). Da hatte ich bei meinen bescheidenen Nahost-Aufenthalten einen anderen Eindruck.
adaia

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von adaia »

saeeda hat geschrieben: Wer hier bei uns NICHT aufrechnet wird in den allermeisten Faellen ausgenutzt und macht sich zum Deppen. Im Cafe freuen sich dann z.B. die anderen, dass sie Geld sparen weil du fuer sie bezahlst. "Alte Freunde" melden sich wieder wenn sie was brauchen (und nur deshalb). Da hatte ich bei meinen bescheidenen Nahost-Aufenthalten einen anderen Eindruck.
Tja, wie gesagt, ich habe in Deutschland ganz andere Erfahrungen gemacht als du - Erfahrungen sind nunmal subjektiv und abhängig von Ort, Zeit und den Menschen um einen herum. ;)
Und in Marokko / mit marokkanischen Bekannten ebenfalls gegenteilige Erfahrungen. Pauschalisieren will und werde ich nicht, sondern nur von meinen Erlebnissen erzählen - genau wie du.
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

Ja, aber machst Du in Deutschland auch diese Erfahrungen:

- Dass wenn Du zusammen mit anderen einen Kaffee trinken gehst, einer zahlt und nicht jeder fuer sich
- Dass wenn Du auf der Strasse eine Auto-Panne hast, Dir sofort 10 Leute zur Hilfe eilen
- Dass Dich jemand ewig lange durch die Stadt faehrt, nur um Dich nach Hause zu bringen
- Dass wenn Du etwas konkretes suchst, sich 1000 Leute finden werden die bereit sind viiiiel Zeit und Energie zu investieren um es fuer Dich zu finden
- Dass Du von Fremden zum Essen eingeladen wirst, nur weil Du zufaellig gerade vorbei schaust

etc. etc.

Also wenn es das bei Dir im Umfeld in der Mehrheitsgesellschaft gibt, ziehe ich dorthin. :D
Hiyam
Admin in Pause
Admin in Pause
Beiträge: 4521
Registriert: Di 21. Apr 2009, 15:47
Wohnort: an der Adria :-)

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von Hiyam »

saeeda hat geschrieben:Ja, aber machst Du in Deutschland auch diese Erfahrungen:

- Dass wenn Du zusammen mit anderen einen Kaffee trinken gehst, einer zahlt
- Dass wenn Du auf der Strasse eine Auto-Panne hast, Dir sofort 10 Leute zur Hilfe eilen
- Dass Dich jemand ewig lange durch die Stadt faehrt, nur um Dich nach Hause zu bringen
- Dass wenn Du etwas konkretes suchst, sich 1000 Leute finden werden die bereit sind viiiiel Zeit und Energie zu investieren um es fuer Dich zu finden
- Dass Du von Fremden zum Essen eingeladen wirst, nur weil Du zufaellig gerade vorbei schaust

etc. etc.

Also wenn es das bei Dir im Umfeld in der Mehrheitsgesellschaft gibt, ziehe ich dorthin. :D
Ja und zwar sehr oft erlebe ich das (OK, Autopanne hatte ich nie und bei Fremden auch noch nie zu essen eingeladen). Das liegt aber nicht am geografischen Umfeld (in meinem Fall) sondern dass mein Freundes- und Bekanntenkreis fast ausschließlich aus Ausländer (teilw. als Erwachsene nach Deutschland gekommen oder 1. Generation) besteht. Die sind alle KEINE Araber, aber süd- und osteuropäisches Ausland.

Das soll nicht heißen, daß alle Osteuropäer so sind wie die Ägypter o.ä. Ich halte es für möglich dass das "wir Ausländer" Gefühl in manchen Situationen einfach überwiegt. "Wir" wollen ja nicht so sein wie die Deutschen, die im Kaffee die Getränke auseinanderrechnen.
Durch Verhalten abgrenzen?

LG
Hiyam
Subrosa

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von Subrosa »

Musafira hat geschrieben:Ich habe mich einmal mit einer aegyptischen Freundin zerworfen, weil ich sie angeblich zu lange mit meiner Anwesenheit belaestigt habe, obwohl sie - wie sie spater sagte - furchtbar muede war. Tatsache war, ich hatte sie kurz besucht, um ihr etwas zu bringen. Sie bat mich, mich zu setzen. Jedes mal, wenn ich zum gehen ansetzte, sagte sie, ich solle doch noch bleiben, noch einen Tee trinken. Eigentlich wollte ich nach Hause, wollte lernen und blieb, weil ich dachte, ich tue ihr einen Gefallen. Tatsache war, ich dachte "wann kann ich endlich gehen" und sie dachte "wann geht sie endlich". Aber stattdessen sagte sie aus purer arabischer Hoeflichkeit "bleib doch noch". Das war eine Lehre fuer mich: manches ist einfach nur Hoeflichkeit, aber sie meinen es nicht so. Und die Entruestung, wenn man ein Angebot nicht gleich annimmt ist zunaechst nur gespielt. Es gehoert zum Ritual.
Ja, herrlich, genauso habe ich es schon hundertfach hier erlebt. Gerade abends hängen alle schon völlig ermüdet in ihren Sesseln. Die Gastegeber denken nur: "wann gehen sie endlich?". Sobald die Gäste aufstehen, schreien alle: Nein, bleibt noch!" und eine der Frauen rennt hektisch in die Küche um Kaffee zuzubereiten.

Auch bei Essenseinladung wird genau abgewägt, ob man den anderen dann auch einladen möchte, denn das ist obligatorisch. :roll:
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

Subrosa hat geschrieben:
Musafira hat geschrieben:Ich habe mich einmal mit einer aegyptischen Freundin zerworfen, weil ich sie angeblich zu lange mit meiner Anwesenheit belaestigt habe, obwohl sie - wie sie spater sagte - furchtbar muede war. Tatsache war, ich hatte sie kurz besucht, um ihr etwas zu bringen. Sie bat mich, mich zu setzen. Jedes mal, wenn ich zum gehen ansetzte, sagte sie, ich solle doch noch bleiben, noch einen Tee trinken. Eigentlich wollte ich nach Hause, wollte lernen und blieb, weil ich dachte, ich tue ihr einen Gefallen. Tatsache war, ich dachte "wann kann ich endlich gehen" und sie dachte "wann geht sie endlich". Aber stattdessen sagte sie aus purer arabischer Hoeflichkeit "bleib doch noch". Das war eine Lehre fuer mich: manches ist einfach nur Hoeflichkeit, aber sie meinen es nicht so. Und die Entruestung, wenn man ein Angebot nicht gleich annimmt ist zunaechst nur gespielt. Es gehoert zum Ritual.
Ja, herrlich, genauso habe ich es schon hundertfach hier erlebt. Gerade abends hängen alle schon völlig ermüdet in ihren Sesseln. Die Gastegeber denken nur: "wann gehen sie endlich?". Sobald die Gäste aufstehen, schreien alle: Nein, bleibt noch!" und eine der Frauen rennt hektisch in die Küche um Kaffee zuzubereiten.

Auch bei Essenseinladung wird genau abgewägt, ob man den anderen dann auch einladen möchte, denn das ist obligatorisch. :roll:
So in der Form ist es natuerlich nur eine nicht ernst gemeinte Hoeflichkeitsformel (die nicht missverstanden werden soll), aber das andere gibt es eben auch.
Benutzeravatar
kanste
Nesthocker
Nesthocker
Beiträge: 229
Registriert: Mi 11. Jun 2008, 09:57

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von kanste »

- Dass wenn Du zusammen mit anderen einen Kaffee trinken gehst, einer zahlt und nicht jeder fuer sich - ja
- Dass wenn Du auf der Strasse eine Auto-Panne hast, Dir sofort 10 Leute zur Hilfe eilen ja
- Dass Dich jemand ewig lange durch die Stadt faehrt, nur um Dich nach Hause zu bringen ja
- Dass wenn Du etwas konkretes suchst, sich 1000 Leute finden werden die bereit sind viiiiel Zeit und Energie zu investieren um es fuer Dich zu finden ja
- Dass Du von Fremden zum Essen eingeladen wirst, nur weil Du zufaellig gerade vorbei schaust
nein, aber möchte ich den wirklich bei total fremden Leuten essen? In den USA gibt es auch immer wieder Essenseinladungen, aber man sollte denen nicht wirklich nachgehen. Ist auch eher eine "Höflichkeitsfloskel.
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

Hiyam hat geschrieben:
saeeda hat geschrieben:Ja, aber machst Du in Deutschland auch diese Erfahrungen:

- Dass wenn Du zusammen mit anderen einen Kaffee trinken gehst, einer zahlt
- Dass wenn Du auf der Strasse eine Auto-Panne hast, Dir sofort 10 Leute zur Hilfe eilen
- Dass Dich jemand ewig lange durch die Stadt faehrt, nur um Dich nach Hause zu bringen
- Dass wenn Du etwas konkretes suchst, sich 1000 Leute finden werden die bereit sind viiiiel Zeit und Energie zu investieren um es fuer Dich zu finden
- Dass Du von Fremden zum Essen eingeladen wirst, nur weil Du zufaellig gerade vorbei schaust

etc. etc.

Also wenn es das bei Dir im Umfeld in der Mehrheitsgesellschaft gibt, ziehe ich dorthin. :D
Ja und zwar sehr oft erlebe ich das (OK, Autopanne hatte ich nie und bei Fremden auch noch nie zu essen eingeladen). Das liegt aber nicht am geografischen Umfeld (in meinem Fall) sondern dass mein Freundes- und Bekanntenkreis fast ausschließlich aus Ausländer (teilw. als Erwachsene nach Deutschland gekommen oder 1. Generation) besteht. Die sind alle KEINE Araber, aber süd- und osteuropäisches Ausland.

Das soll nicht heißen, daß alle Osteuropäer so sind wie die Ägypter o.ä. Ich halte es für möglich dass das "wir Ausländer" Gefühl in manchen Situationen einfach überwiegt. "Wir" wollen ja nicht so sein wie die Deutschen, die im Kaffee die Getränke auseinanderrechnen.
Durch Verhalten abgrenzen?

LG
Hiyam
Schoen dass es bei euch so ist! Ja, ich kenne das von meinen auslaendischen Freunden auch so. Von Deutschen auch aber nur von Freunden. und meinem Nachbarn, der vom Mond kommt :engel_lieb:
Hiyam
Admin in Pause
Admin in Pause
Beiträge: 4521
Registriert: Di 21. Apr 2009, 15:47
Wohnort: an der Adria :-)

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von Hiyam »

@Subrosa, Musafira und andere mit Erfahrung am eigenen Leib
Subrosa hat geschrieben:
Ja, herrlich, genauso habe ich es schon hundertfach hier erlebt. Gerade abends hängen alle schon völlig ermüdet in ihren Sesseln. Die Gastegeber denken nur: "wann gehen sie endlich?". Sobald die Gäste aufstehen, schreien alle: Nein, bleibt noch!" und eine der Frauen rennt hektisch in die Küche um Kaffee zuzubereiten.

Auch bei Essenseinladung wird genau abgewägt, ob man den anderen dann auch einladen möchte, denn das ist obligatorisch. :roll:
und wie kriegt ihr raus was das Richtige ist? Gibts so landestypische "Geheimsignale"?

Oder verkracht man sich zwangsläufig mit paar Leuten zuerst
Danke das ist ein sehr interessanter Artikel. Das kenn ich auch Frau Hiyam Sie sehen heute so schlecht aus, sind Sie krank?
:mrgreen:
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

kanste hat geschrieben:- Dass wenn Du zusammen mit anderen einen Kaffee trinken gehst, einer zahlt und nicht jeder fuer sich - ja
- Dass wenn Du auf der Strasse eine Auto-Panne hast, Dir sofort 10 Leute zur Hilfe eilen ja
- Dass Dich jemand ewig lange durch die Stadt faehrt, nur um Dich nach Hause zu bringen ja
- Dass wenn Du etwas konkretes suchst, sich 1000 Leute finden werden die bereit sind viiiiel Zeit und Energie zu investieren um es fuer Dich zu finden ja
[/color]
Echt? :shock:
Muenster und Berlin sollen also komplett anders sein als Restdeutschland?
Das waere mir neu. :confused: Ich glaube eher, wir nehmen das anders wahr - und zwar komplett. Es gibt hier in D. ja definitiv Vorteile, aber DIE nicht, sondern andere.

Was die Essenseinladungen eingeht: Ich meinte nicht unbedingt vorher abgesprochene Essenseinladungen, sondern die Tatsache, dass man in den arabischen Gesellschaften, die ich kenne, Fremde die zufaellig da sind mit zum Essen oder Trinken einlaedt, wenn man gerade selber isst. Das habe ich in D. noch nie erlebt, in mehr als 30 Jahren nicht. Und ich persoenlich finde das schoen.
malaika

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von malaika »

Pauschalisieren kann man bei dem Thema natürlich nicht, und jeder macht andere Erfahrungen. Aber die ursprüngliche Aussage, dass der Zusammenhalt in Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung generell stärker sei als z.B. in Deutschland, stimmt meiner Meinung nach so nicht.

Außenstehende empfinden es ja oft so, dass der Zusammenhalt in den Familien stärker ist, aber ich finde, bei genauerem Hinsehen stimmt das oft nicht. Klar, es wird mehr zusammen gemacht, Kinder werden oft bis ins Erwachsenenalter finanziell unterstützt; wenn jemand zum Arzt muss, geht die ganze Familie mit etc., aber ich beobachte auch oft, dass der emotionale Zusammenhalt fehlt. Zum Beispiel leben viele junge Ägypter ein Doppelleben und halten viele Dinge vor ihren Eltern geheim. In vielen Familien ist es auch so, dass die Kinder von den Eltern zu einem bestimmten Lebensstil gedrängt werden (Stichworte: Partnerwahl, Studium), nur weil die Eltern das so wollen. Was die Kinder wirklich glücklich macht, ist dann oft nebensächlich.

Eine Freundin, die seit 30 Jahren in Kairo lebt und mit einem ägyptischen Arzt verheiratet ist, hat mir erzählt, dass es viele Fälle gibt, wo alte und kranke Menschen völlig vernachlässigt von der Familie vor sich hin vegetieren. Das bekommt eben nur selten jemand mit.

Die Sache mit dem Bezahlen im Cafe oder Restaurant ist meiner Meinung nach eher eine kulturelle Geschichte. Dass das bei uns nicht so ist, hat nicht unbedingt etwas mit Geiz oder Egoismus zu tun.

Hilfe von Fremden -- Es ist mir gelegentlich schon passiert, dass völlig Fremde mir helfen, aber leider habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass in der Mehrzahl der Fälle durchaus Kalkulation und die Erwartung einer Gegenleistung damit verbunden sind. Es ist mir übrigens schon mehrmals in Deutschland passiert, dass ich mit schwerem Gepäck unterwegs war und mir völlig Fremde den Koffer abgenommen und die Treppe hochgetragen haben. In Ägypten habe ich so etwas noch nicht erlebt. Eine Freundin, die schon mehrfach mit einem Kleinkind zwischen Europa und Ägypten hin- und hergereist ist, sagt, dass sie den Unterschied sehr krass empfindet. In Europa packt immer jemand mit an, wenn sie Kind, Kinderwagen und Gepäck durch die Gegend wuchten muss, sobald sie im Flieger voller Ägypter oder in Kairo am Flughafen ist, passiert das nicht. Im Gegenteil, die Leute drängeln und behindern sie.

Auch habe ich schon oft erlebt, dass ich auf der Straße massiv belästigt wurde und niemand eingreift oder auch nur etwas sagt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die "Eid-Vorfälle" erinnern, wo Hunderte von Frauen körperlich bedrängt und sexuell belästigt wurden und so gut wie niemand eingegriffen hat, was ich sehr skandalös finde.

Was ich auch schrecklich finde, ist, dass in Ägypten niemand eingreift oder die Polizei ruft, wenn eine Frau oder ein Kind geschlagen wird.

Dass ich spontan zum Essen eingeladen werde, passiert mir in beiden Ländern. :)

Hiyam hat geschrieben: Danke das ist ein sehr interessanter Artikel. Das kenn ich auch Frau Hiyam Sie sehen heute so schlecht aus, sind Sie krank? :mrgreen:
Ist mir vor einigen Tagen erst passiert. Ich erzählte einer Freundin von einem Kompliment, dass mir jemand gemacht hat, und als Antwort kam "Du hast aber doch zugenommen, oder?" Nicht dass mich das nun groß gestört hätte, ich bin ja wahrlich dünn genug. Aber in dem Zusammenhang fand ich das irgendwie nicht so besonders freundlich. :roll:
saeeda

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von saeeda »

Schoen, dass ihr in D. so tolle Erfahrungen gemacht habt! Ich kenne das wie gesagt nur aus arabischen Laendern (und auch Suedeuropa) so gehaeuft und habe daher eine andere Meinung.
Benutzeravatar
Anne81
Forums-Mufti
Forums-Mufti
Beiträge: 2015
Registriert: Mi 28. Jun 2006, 17:09
Wohnort: Altes Land

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von Anne81 »

Bei arabischen Ländern kann ich ja nicht mitreden, da ich da noch nie war, aber was Araber hierzulande betrifft, empfinde ich die Gastfreundschaft teilweise fast als aufdringlich: Das extremste Beispiel ist eine Bekannte, mit der ich öfter was wegen der Uni zu tun hatte. Sie hat mich dann immer wieder zum Essen o.ä. eingeplant, ohne das vorher abzusprechen und dann richtig patzig reagiert wenn ich abgelehnt habe, weil ich was anderes vor hatte :? . Und ähnliche Situationen sind mir mit Arabern schon häufiger passiert - bei Deutschen ist es dagegen OK abzulehnen, wenn etwas nicht abgesprochen war.

ein bisschen OT: Die größte Hilfsbereitschaft ist mir eindeutig in Schweden begegnet: Wir waren mit Paddelbooten unterwegs und haben beschlossen abzubrechen, da wir nur Dauerregen hatten. Mein Vater wollte mit dem Bus zum Auto fahren und uns dann abholen und da es keinen Fahrplan an der Haltestelle gab, hat er beim nächsten Haus geklingelt und nachgefragt. Der Mann hat meinen Vater ohne zu zögern 2 Stunden zu unserem Auto gefahren und seine Frau hat in der Zwischenzeit extra für uns gekocht etc. Ein anderes Mal hat jemand extra seinen Bootsanhänger geholt und unsere Boote umgesetzt, da auf der Karte nciht zu erkennen gewesen war, dass wir nicht weiterpaddeln konnten. Und einmal war uns das Benzin mit einem kleinen Ruderboot mit Motor ausgegangen und wir sind zurück gerudert. Da kam jemand quer über den See angefahren und hat uns Benzin abgefüllt (obwohl es echt nicht weit gewesen wäre). Und ähnliche Situationen gab es immer wieder. :clapp:

Salam,
Anne
Benutzeravatar
maryamberlin
Profi
Profi
Beiträge: 607
Registriert: Sa 12. Jul 2008, 14:06
Wohnort: Berlin

Re: Zusammenhalt in muslimischen Gesellschaften

Beitrag von maryamberlin »

Salam,

ich denke auch, es kommt immer darauf an... ich hatte letztens eine Fahrradpanne, und während ich noch an der Kette rumzerrte, hielt zweimal jemand an. Erst eine Frau, die gar keine ahnung hatte, aber wenigstens gucken wollte, ob sie nicht doch helfen könnte und dann zwei Typen, anfang 20 , Picaldi-Typ, von denen ich es nie erwartet hätte. Der eine ist dann noch zu sich nach Hause gelaufen und kam 5 Minuten später mit Werkzeug an. Als er mir geholfen hatte, wobei er sich total eingesaut hat, ging er einfach mit einem freundlichen Lächeln. Das war in Berlin(wenn man denn Kladow noch zu Berlin zählen möchte :D )

Ansonsten kenne ich auch diese verschiedenen Grade der Direktheit von meiner deutschen Familie auf der einen Seite, und der irischen auf der anderen. Ob es nun beim Essen auftun ist( Du musst einfach noch etwas nehmen, bitte, nein danke, ach bitte doch, nein danke etc.) oder bei der Schlacht darum, wer denn nach dem gemeinsamen Essen das Geschirr abwaschen darf, oder auch beim Fahren anderer Menschen irgendwohin... In Irland muss man einfach noch ein paarmal in jede Richtung protestieren, bzw. sich geradezu darum schlagen, die Rechnung bezahlen zu dürfen, während bei der deutschen Verwandtschaft ein Ja ein Ja ist und ein Nein ein Nein. Man muss halt nur wissen, wo man gerade ist, welches Spiel gerade gespielt wird.. :D
"Es stände besser um die Welt, wenn die Mühe, die man sich gibt, die subtilsten Moralgesetze auszuklügeln, zur Ausübung der einfachsten angewendet würde."
(Marie von Ebner-Eschenbach)
Antworten